Der Weg ist das Ziel
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Die Ent-Täuschung des Francis Alÿs: “A Story of Deception” im Malba
Von Susanne Franz
Kilometer für Kilometer das gleiche Spiel: eine mehr oder weniger geradlinige Straße erstreckt sich vor Dir bis zum Horizont, doch irgendwo davor, in der Mitte, zerfließt sie und wird zu einem gleißenden, wabernden, verheißungsvollen Meer, das Dir entgegenrollt, das Du aber nie erreichst, denn wenn Du Dich näherst, verwandelt es sich sofort wieder in die alte, langweilige, staubige, tote Straße.
Es ist ein ständiges Hinhalten, ein Locken, ein glühendes Versprechen, aus dem nie etwas wird, denn Du kommst niemals an, die Verheißung wird im selben Moment zur nüchternen Realität, in dem sie Dir am erreichbarsten erscheint.
Der belgische Künstler Francis Alÿs (Jahrgang 1959), der seit 1986 in Mexiko lebt und arbeitet, hat mit seiner “Story of Deception” die erste Auftragsarbeit eines Künstlers für das “Museo de Arte Latinoamericano de Buenos Aires” (MALBA) geschaffen. Zwischen 2003 und 2006 bereiste er mit einem Team die argentinische Pampa und Patagonien, um dort einer Fata Morgana hinterherzujagen: Ihn faszinierte ein Mythos, nach dem das Volk der Tehuelches Nandus gejagt haben soll, indem es die riesigen Straußenvögel so lange zu Fuß verfolgte, bis diese ermüdeten und eine leichte Beute ihrer Jäger wurden.
Alÿs interessierte dieses Wandern als Jagdmethode, denn seine Kunstaktionen haben mit Wanderungen/Bewegungen jeglicher Art zu tun – egal ob er sich selbst fortbewegt wie in der Aktion “Manchmal führt das Tun zu Nichts” von 1997, als er einen riesigen Eisblock neun Stunden lang durch Mexiko City schob, bis er geschmolzen war; oder ganze Landschaften bewegt wie in “Wenn der Glaube Berge versetzt” von 2002, als er 500 Menschen in der Nähe von Lima eine Sanddüne abtragen und wieder aufschichten ließ. Auf seinen Reisen nach Argentinien kam er jedoch nicht zu dem Ergebnis, das er sich vielleicht vorgestellt hatte, er kam zu überhaupt keinem Ziel, sondern stellte fest, dass sich das Ziel ihm immer wieder unausweichlich entzog.
Die Geschichte seiner Ent-Täuschung ist nichts anderes als eben das: das Ende einer Täuschung. Nicht das Ankommen ist wichtig, sondern der Weg – bzw. es gibt kein Ankommen, und auch der Weg ist voller Gespenster, scheint die (keinesfalls tröstliche!) Aussage der dokumentarischen Kunstaktion des Belgiers zu sein, der seinem berühmten Vorreiter René Magritte in nichts nachsteht – vielleicht unterscheidet er sich in der Methode, aber keineswegs im Konzept.
Francis Alÿs, „A Story of Deception“, Patagonien 2003-2006, Video, Zeichnungen, Fotos. MALBA, Av. Figueroa Alcorta 3415 (dienstags geschlossen). 14.4.-12.6.