Vortasten im Zeit-Nebel (1999)

Luis Felipe Noé zeigt Gemälde der letzten zwei Jahre bei Rubbers

Von Susanne Franz

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Luis Felipe Noé
(Foto von der Webseite des CCEBA).

Die ausgezeichnet montierte und beleuchtete Ausstellung der jüngsten Gemälde des renommierten Künstlers Luis Felipe Noé in der Galerie Rubbers zeigt einen Maler, der in seiner Technik der expressiven Pinselführung zu Hause ist und der sich doch kein bisschen auf den Lorbeeren ausruht, die verdientermaßen die 40 Jahre seiner Künstlerkarriere schmücken. Noé lässt durchaus Neuerungen in seine Bilder einfließen – hier das profane Kalenderblatt, das an seinem Werk „Enero 2000″ hängt, da das aus dem Rahmen tretende Porträt eines ostentativ Wegschauenden -, aber er verwendet ganz bewusst keine der Ausdruckssprachen der „neuen Technologien”. In einem poetischen Vorwort zu dem Katalog, der zur Ausstellung erscheint, sagt Noé, er wolle nicht das Neue mit alten Techniken darstellen, sondern unserer Zeit anhand der Mittel gerecht werden, die er zur Hand habe. Nun – und er hat eben die Pinsel zur Hand. Das Bild, mit dem er das Heute beschreibe, sagt er weiter, entstehe vom einzig möglichen Ausgangspunkt aus – dem desjenigen, der schaut, und schließe in einem Rundumpanorama den Sehenden mit ein.

So treten wir in einen lebendigen Dialog mit den vielschichtigen Werken Noés, in denen Farbe gleichbedeutend mit Hoffnung ist, und geraten in eine Art Zeitlosigkeit, in einen Zeit-Nebel, der auch spürbar durch einige Bilder wabert, in einen Zwischenraum zwischen zwei vorbeiflitzenden Zügen, in dem relativ keine Zeit abläuft. Die zwei Züge sind das alte und das neue Jahrtausend, und der Nebel, durch den wir waten, ist der unendlich verzögerte Zeitablauf kurz vor dem Wechsel der Millennien.

Noés Bestandsaufnahme unseres Heute, das die Vergangenheit mit einschließt und auch den Zukunftsentwurf, nimmt in diesem verlangsamten Beinahe-Vakuum die Form einer bitteren Bilanz an. Technologischer Overkill und Globalisation führen zur Vereinsamung des Individuums und zur Fremdbestimmung durch die Medien, die so hochgelobte „Freizeit” ist ein Spielplatz für Wenige und äußert sich zumeist in Arbeitslosigkeit und bitterer Armut oder Mehrfachjobs, um das Existenzminimum zu sichern. Noé prangert auch „ethnische Säuberungen” an – und so werden seine kritischen, hochaktuellen Bilder zu einer „Zeit der Abrechnung”.

Dieses Thema der Werke des Jahres 1999 hat sich wohl logisch aus dem ergeben, mit dem er sich 1998 beschäftigte: mit dem Vergessen bzw. der (seiner) Erinnerung an das Vergessen. So heißt die sehr persönliche Bilanz Noés „Recuerdos del olvido en tiempo de descuento” (Erinnerungen an das Vergessen in einer Zeit der Abrechnung).

„Mit einem lachenden und einem weinenden Auge” betrachtet der Künstler Luis Felipe Noé in seinen unglaublich dichten Kompositionen das Ende des Jahrtausends. Neben dem reinen Kunstgenuss bietet die Ausstellung uns so auch reichlich Zeit und Anlass zum eigenen Nach-Denken und Bilanz-Ziehen.

Dieser Artikel erschien am 06.11.1999 im “Argentinischen Tageblatt”.

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