Jugend, Punk und Künstlerleben

Lena Szankays Fotoausstellung “Zeitgeist Berlin”

Von Nils Witte

szankay11.jpg“Ich wollte nicht die üblichen Bilder von der Mauer machen”, fasst Fotografin Lena Szankay ihre Ausstellung “Zeitgeist Berlin” zusammen, die derzeit in der “VVVgallery.” in Buenos Aires zu sehen ist. Die Fotos der Porteña vermitteln dem Betrachter die Atmosphäre im Berlin vor und nach dem 9. November 1989. Was haben die Menschen gefühlt? “Begeistert war ich nicht”, erinnert sich die damals 24-Jährige an ihren ersten Eindruck. Mit dieser Reaktion war sie im Herbst 1989 nicht allein.

“Die linke Szene war überrumpelt von den Ereignissen”, erinnert sich Szankay, “was geschah, war auch unwürdig. Im Fernsehen wurde der Sieg von Kapitalismus über Kommunismus verkündet, und die DDR-Bürger boten ihre FDJ-Uniformen zum Verkauf an, um an D-Mark zu kommen.” Die in den Medien transportierte Botschaft – Ost schlecht, West gut – war ihr zu plump. Bis heute vermisst sie eine Anerkennung der Qualitäten der Ostrepublik, beispielsweise ein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot: “Die Mauer bleibt in den Köpfen. Nach zwanzig Jahren Wiedervereinigung sind viele Bürger der ehemaligen DDR vom kapitalistischen System enttäuscht.”

Die jetzt ausgestellten Fotos entstanden daher erst ein paar Monate später. “Ich habe keine Mauerspechte fotografiert und keine Vorher-Nachher-Aufnahmen gemacht”, erklärt die heute 44-Jährige. Ein durch Doppelbelichtung entwickeltes Bild zeigt einen jungen Menschen, in dessen Sonnenbrille sich vertraute Szenen zwischen Volk und Mauer spiegeln. “So war ich auch, zurückhaltend und beobachtend.” Szankay hatte eine kurze Zeit das Leben hinter Mauern genossen: “West-Berlin war das Gegenteil von Buenos Aires: ruhig und ohne Autoverkehr.” Nach dem Mauerfall wurde es lauter. Sie blieb dennoch, um das Handwerk der Fotografie zu erlernen. Auch lernte sie das geeinte Berlin lieben. “Ich finde die Stadt nach wie vor faszinierend”, sagt sie heute.

Die Ausstellung offenbart daher nicht nur ihre anfängliche Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung. Die Bilder zeigen eine jugendliche Stadt. “Berlin ist Laissez-Faire und Rumhängen”, kommentiert Szankay eine neuere Aufnahme vom belebten Görlitzer Park, “die Stadt ist bis heute ein Magnet für junge Menschen.” Eine tolerante Polizei, billige Wohnungen und die Tatsache, dass man nachts mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren kann, sind ihres Erachtens die Alleinstellungsmerkmale der deutschen Hauptstadt.

szankay22.jpgTrotzdem ist auf den Lichtbildern nicht das große Glück zu sehen. Die Atmosphäre der 90er Jahre empfand die 2008 nach Buenos Aires zurückgekehrte Künstlerin auch als bedrückend: “Es war nicht alles rosig in Berlin. Die Liebesgeschichten waren oft traurig. Zudem lebte noch die Mentalität der 80er. Alles war schwarz gekleidet, und die Trends aus der Punkbewegung waren No Future, Alkohol und Selbstmord.” Eine Serie von Schwarz-Weiß-Fotografien eines gesichtslosen Frauenkörpers greift diese dunkle Stimmung auf. Die Narben der Frau zeugen vom Schmerz dieser Generation.

Im Frühjahr 1989 war Szankay in die geteilte Stadt gekommen. “Mein Freund und ich hatten Wim Wenders’ Film ‘Der Himmel über Berlin’ gesehen”, erinnert sich die damalige Studentin des Fotografen Eduardo Gil an ihren Entschluss zur Reise und verrät: “Um das Flugticket zu bezahlen, habe ich die Goldkette meiner Großmutter verkauft.”

Nicht zuletzt gibt “Zeitgeist Berlin” auch einen Einblick in Leben und Werk der Künstlerin. Eine Serie großformatiger Abzüge aus der Wendezeit zeigt Kreuzberger Ateliers in einer alten Fabrik. “Die Fenster und die Lichtatmosphäre sind typisch für mich”, begründet sie ihre Aussage, die Ausstellung sei auch eine Art Retrospektive. Und in welcher Stadt will Lena Szankay alt werden? Die Antwort kennt sie selbst noch nicht: “Man wählt den Ort, wo man sich am besten entfalten kann. Jetzt habe ich mir erstmal zwei bis drei Jahre in Buenos Aires gegeben.”

“Zeitgeist Berlin”, Aguirre 1153, 2. Stock “A”, mittwochs-freitags 16-20, samstags 15.30-18.30 Uhr, bis 19.12. Infos auf der Webseite von “VVV.gallery.”.

Mehr Berlin-Fotografie von Lena Szankay ist seit Donnerstag im Centro Cultural de la Cooperación zu sehen. In der Ausstellung “Imágenes de un país que ya no existe” (Bilder eines Landes, das es nicht mehr gibt) kombiniert Kurator Alberto Giudici Fotos der Stadt Berlin mit Originalplakaten aus der DDR. Die hier ausgestellten Werke Szankays haben stärker dokumentarisch-journalistischen Charakter als jene der Ausstellung “Zeitgeist Berlin”.

“Imágenes de un país que ya no existe”, Av. Corrientes 1543, montags-samstags 10-22, sonntags 17-20.30 Uhr, bis 7.1.

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Lena Szankay erlebte den Mauerfall in Berlin.
(Foto: Nils Witte)

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