Götter, Rituale und Professionen

Eine Zeitreise durch Mexiko in der Fundación Proa

Von Maike Pricelius

Noch bis zum 8. Januar ist in der Fundación Proa, Buenos Aires, mit ihrem Programm für zeitgenössische und moderne Kunst eine für den Ort ungewöhnliche Ausstellung zu sehen. 150 Stücke aus archäologischen Sammlungen unterschiedlicher Kulturen, die am Golf von Mexiko beheimatet waren, sind in den vier Sälen zum ersten Mal außerhalb ihrer Heimat zu besichtigen.

Die künstlerischen Erzeugnisse, wie Götterstatuen, Werkzeuge, Schalen, Schmuck und Musikinstrumente aus der Gegend um Veracruz erwecken das Imaginäre einer anderen Welt zum Leben. Die Rituale und ihre künstlerischen Erzeugnisse, die Götter und ihre Repräsentationen haben das Leben der Menschen damals in einer Weise bestimmt, wie sie heute nur noch schwer nachvollziehbar ist. Einen ungewöhnlichen Einblick gibt die Ausstellung “Dioses, Ritos y Oficios del México Prehispánico”, die Stücke aus 14 Museen Institutionen, zwei Kulturzentren und einer archäologischen Fundstätte zeigt. Sie spannt einen Bogen zwischen den profanen Aktivitäten, wie die des Töpfers, des Steinmetzes oder der Landwirtschaft, und dem von Göttern geprägten Weltbild dieser Zeit.

“Die Weltanschauung der Kulturen von Veracruz ist ohne Zweifel eine derjenigen, die die größte Verbreitung erfahren hat, die Diversität der Kulte und Riten reicht von jenen, die ausschließlich an die Religion gebunden sind, bis zu jenen, die sich mit verschiedenen häuslichen und ökonomischen Aktivitäten verbinden”, beschreibt der Kurator David Morales Gómez den Kontext der Ausstellung.

In einem Glaskasten sitzt nun Tláloc (El Zapotal, 600-900 n. Chr.), der Gott des Wassers, die Beine angewinkelt, die Arme nachdenklich um die Knie geschlungen, und starrt durch eine Art Brille angestrengt vor sich hin. Der Kopf ist vor der Sonne mit einem turbanähnlichen Tuch bedeckt. So menschlich jedenfalls erscheint er dem Besucher heute, jemandem, der seine Macht und gesellschaftliche Stellung nicht mehr auf Anhieb zu deuten vermag. In den von Agrarwirtschaft abhängigen Gesellschaften Mexikos dagegen hatte der Gott des Regens und des Wetters eine herausragende Stellung.

In einem anderen Raum trifft man auf Xipe Totec (Centro Sur, Veracruz, 250-900 n. Chr.), Gott des Frühlings, der aufkeimenden Saat und der Jahreszeiten, und zudem Schutzgott der Goldschmiede. Der Mund ist geöffnet, die Augen sind geschlossen und die Arme leicht angewinkelt, wie zur Andacht oder zum Gebet. Dies sind die Merkmale, mit denen der Künstler den Schmerz und den Tod, die sich in der Person des Gottes vereinen, ausdrückt, eines Gottes, der Leben gibt und nimmt im ewigen Kreislauf der Natur. Der Körper der fast lebensgroßen Figur ist mit roter Farbe bemalt und mit kleinen, runden Scheiben bedeckt, die wie ein Anzug aus Schuppen anmuten. Aber die Geschichte hierzu ist nicht so harmlos, wie die Figur scheint. Zu Ehren von Xipe Totec wurde im Frühjahr ein Fest gegeben, bei dem ein Kriegsgefangener, welcher den Gott symbolisierte, geopfert wurde. Für das Ritual wurde ihm die Haut abgezogen, welches der Priester als Repräsentation des Gottes als Kleid trug.

Menschenopfer spielen in den Riten der prähispanischen Zeit eine bedeutsame Rolle. Dies wird in der Ausstellung am Beispiel der Tajín-Kultur (600-1200 n. Chr.) deutlich. El Tajín war eines der kulturellen Zentren im Norden von Veracruz, welches heute vor allem durch sein rituelles, sehr entfernt an Basketball erinnerndes Ballspiel bekannt ist. Interessant sind vor allem die aus Stein gemeißelten, mit Symbolen verzierten Ringe (“Yugo”), durch die der Kautschuk-Ball befördert wurde. Das Spielfeld, verstanden als konzeptueller Raum, in dem die Kräfte der Natur gebändigt wurden, symbolisierte das Himmelsgewölbe und der Ball die Sonne.

Auch wenn die Einzelheiten dieses Rituals und die Regeln des Spiels bis heute unbekannt sind, ist jedoch sicher, dass sie eng verbunden waren mit dem Verständnis vom Leben selbst. Die Bewegungen auf dem Spielfeld spiegelten das Gleichgewicht der Natur wider. Die Verbindung von Kosmos und Leben wird durch die gegeneinander antretenden zwei Parteien repräsentiert, welche erst durch das Spiel vereinigt wurden. Den Gewinnern des Spieles wurde die Ehre erwiesen, ihr Leben den Göttern zu opfern, darunter auch dem Gott Xipe Totec.

Der letzte Raum bietet einen Einblick in die archäologischen Fundstätten und eine Ahnung von den Zusammenhängen, in denen sich die im Museumsraum ausgestellten Stücke befunden haben. Doch auch die Dokumentarfotografien stammen aus einer anderen Zeit als der unsrigen und erzählen so eine eigene Geschichte, die über 120 Jahre alt ist. Sie stammen aus der Expedition von 1890, die Francisco del Paso und Troncoso in die archäologische Zone von Cempoala unternahmen. Cempoala war die erste Stadt, welche die Spanier bei ihrer Eroberung Mexikos erreichten. Es ist die Stadt, die Hernán Cortes empfing, die Stadt, in der der erste Kontakt mit dem Westen stattfand. Und eine der ersten Stätten, die wissenschaftlich untersucht worden sind. Paso und Troncoso sind weiter bis nach El Tajín gereist und hinterlassen uns ein Bild, wie es die ersten Wissenschaftler vor Ort vor über einem Jahrhundert angetroffen haben.

Auch wenn die Bilder uns heute faszinieren, die die steinernen Götter und die mit Symbolen dekorierten Friese, Säulen und Wandmalereien in ihrem ursprünglichen, fast noch unberührten Kontext zeigen, ist es erstaunlich, welche ästhetische Kraft die Stücke im White Cube der Ausstellungsräume entwickeln. Der Betrachter muss die Bedeutungen der einzelnen Stücke und ihre Rolle in den Zeremonien nicht kennen, damit sie ihre Anziehungskraft entfalten. Vor allem die Statuen wirken durch ihre detailgetreue Nachahmung des Menschen mit ihrer schrumpeligen Haut, den Finger- und Zehnägeln, und den expressiven Gesichtszügen eher wie moderne Skulpturen als wie Zeugnisse aus längst vergangenen Tagen. Vielleicht ist die Ausstellung dann doch nicht so ungewöhnlich im Programm der Fundación Proa.

  • “Dioses, Ritos y Oficios del México Prehispánico”
  • Kurator: David Morales Gómez
  • Organisiert von der Mexikanischen Botschaft in Argentinien
  • Fundación Proa
  • Av. Pedro de Mendoza 1929, La Boca
  • Buenos Aires, Argentinien
  • Di-So 11-19 Uhr, montags geschlossen
  • Bis 8. Januar 2012
  • Bei der Langen Museumsnacht (12.11.) von 17 bis 0 Uhr Eintritt frei, sonst 12 Pesos, Studenten und Lehrer 8 Pesos, Rentner 4 Pesos; dienstags gratis für Studenten und Lehrer

Fotos von oben nach unten:

Skulptur des Xipe Totec, Veracruz. 250-900 n. Chr., Ton, 158 x 53 x 60 cm. Museo de Antropología, Xalapa.

Tláloc, Gott des Wassers, El Zapotal. 600-900 n. Chr., Ton/Lehm, 48 x 26 x 41 cm. Museo de Antropología, Xalapa.

“Yugo” mit mythologischen Szenen, Veracruz. 250-900 n. Chr., 12 x 36 x 43 cm. San Juan de Ulúa.

Restaurierte Tafel mit der Szene des Ballspiels von El Tajín, in der am Ende der Spieler geopfert wird. Papantla, Veracruz.

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