Heinrich Grönewald: Ein Leben im Exil

Michael Wettern setzt dem Pädagogen, Journalisten und überzeugten Antifaschisten ein Denkmal

Von Mirka Borchardt

Als Kritiker der nationalsozialistischen Bewegung musste er schon früh aus Deutschland fliehen, zusammen mit Albert Einstein und Johannes R. Becher stand er auf der ersten Ausbürgerungsliste des “Dritten Reiches”. Aus dem häufig entbehrungsreichen Exil engagierte er sich unbeirrt gegen die Diktatur in seiner Heimat und fungierte als zentrale Figur in der Opposition gegen den starken Nazi-Einfluss in der deutschen Gemeinschaft Argentiniens. Dennoch ist sein Name so unbekannt, dass selbst die allwissende Suchmaschine Google kaum Informationen über ihn findet. Die Rede ist von Heinrich Grönewald, Lehrer, Journalist, überzeugter Demokrat, Antifaschist und begnadeter Pädagoge.

Ausgerechnet einem Biologen ist es zu verdanken, dass diesem Kenntnismangel nun abgeholfen wird. Knapp zwanzig Jahre lang ist Michael Wettern, Pflanzenbiologe und Datenschutzbeauftragter der TH Braunschweig, den Spuren nationalsozialistischer Opfer an der damaligen Hochschule nachgegangen. Bei den Arbeiten zur Broschüre des 75-jährigen Jubiläums des Botanischen Instituts wurde er erstmals aufmerksam auf die zahlreichen Professoren, Mitarbeiter, Studenten und Angestellten der TH Braunschweig, die während der NS-Zeit aus politischen oder rassistischen Gründen entlassen worden waren. Aus persönlichem Interesse machte er sich daran, in seiner Freizeit Archive zu durchforsten, Zeitzeugen zu suchen und Biographien zu rekonstruieren. 2010 erschien in Zusammenarbeit mit Daniel Weßelhöft das Ergebnis: “Opfer nationalsozialistischer Verfolgung an der Technischen Hochschule Braunschweig 1930-1945”.

In der Studie sind mehr als fünfzig Biographien von Mitarbeitern aufgeführt, die der nationalsozialistischen Säuberung der Hochschule zum Opfer fielen. Eine davon ist die Heinrich Grönewalds, dessen Schicksal Wettern so bemerkenswert fand, dass er weitere Untersuchungen anstrengte und nach Zeitzeugen fahndete.

Über das Argentinische Tageblatt machte er schließlich Leonor Rothmann aus, die einzige Tochter Grönewalds, dank deren Hilfe vor kurzem das beachtliche Ergebnis der jahrelangen Arbeit veröffentlicht werden konnte: “Heinrich Grönewald. Student und Doktorand der Technischen Hochschule in Braunschweig. Ein Leben für die Pädagogik in Braunschweig, Paris und Buenos Aires”.

Welchen Aufwand Wettern dabei betrieben hat, kann man in dem akribisch recherchierten und mit Detailtreue geschriebenen Werk nachlesen. Aus einer Fülle von Mosaikstücken hat Wettern ein eindrucksvolles Gesamtbild dieses unkorrumpierbaren Mannes geschaffen, das nicht nur dessen persönliches Schicksal, sondern auch den historischen Hintergrund abbildet. So erfährt man beispielsweise vom Braunschweig der frühen dreißiger Jahre, das schon vor der “Machtergreifung” tiefbraun gefärbt war. In diesem Milieu, unter widrigsten Bedingungen, engagiert sich Grönewald unbeirrt in der “Sozialistischen Studentengruppe” und in der Lehrergewerkschaft. Auch dass er auf Betreiben des Ministeriums für Volksbildung – schon seit 1930 in Händen der Nazis – nicht in den Schuldienst übernommen wird, hält ihn nicht ab.

In zahlreichen Zeitungsartikeln berichtet er über die Nazi-Umtriebe, was ihm schließlich zum Verhängnis wird: 1932 wird er von bewaffneten SA-Schlägern überfallen und entkommt nur knapp. An diesem Punkt sieht er keine andere Möglichkeit, als ins Exil zu gehen. Mit seinen 23 Jahren flieht er zunächst nach Paris, wo er eine Organisation zur Unterstützung exilierter Lehrer mit aufbaut, dann nach Buenos Aires, wohin ihn der Völkerbund vermittelt, als Lehrer der sich der nationalsozialistischen Gleichschaltung widersetzenden Pestalozzi-Schule. Zuvor war ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden, weil er “gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk” verstoßen und damit “die deutschen Belange geschädigt” habe. Fortan ist er staatenlos, und es wird Jahrzehnte dauern, bis er die deutsche Staatsbürgerschaft wieder zurück erhält.

Kaum in Buenos Aires angekommen, beteiligt er sich am Aufbau der antifaschistischen Hilfsorganisation “Das Andere Deutschland” und engagiert sich in der “Auslandsgruppe Deutscher Gewerkschaften”. Er wird – neben seiner Arbeit als Lehrer – Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen und Nachrichtenagenturen, darunter das “Argentinische Tageblatt”, der “Vorwärts” und die amerikanische Nachrichtenagentur UPI.

1943 ist er einer der Hauptinitiatoren des Kongresses deutscher Antifaschisten in Montevideo, nach dem Krieg organisiert er die Lebensmittelpaketsendungen ins Hunger leidende Deutschland. Häufig hat er kaum das Geld, seine Miete zu bezahlen, und dennoch findet er immer die Zeit und die Möglichkeiten, diese ehrenamtlichen Aufgaben auszufüllen. Seine Schüler beschreiben ihn im Rückblick als einen “ausgezeichneten Lehrer mit viel Feingefühl und großer Menschenkenntnis, der immer Verständnis für jedes Problem hatte”.

Nach dem Krieg bemüht sich Grönewald um seine Wiedereinbürgerung, und um Wiedergutmachung, doch statt dass sein Kampf im Exil anerkannt wird, macht man ihm die Emigration zum Vorwurf. Welche entbehrungsreiche Zeit die unfreiwillige Flucht aus der Heimat für ihn bedeutete, dass er auch in Argentinien den Attacken von Nazi-Schlägern ausgesetzt war, das will niemand wissen.

Grönewald hofft, in den niedersächsischen Schuldienst aufgenommen und für den Auslandsschuldienst freigestellt zu werden, um als Leiter der Norte-Schule weiterhin mit Frau und Tochter in Buenos Aires leben zu können. Deutschland, in das er immer zurückzukehren vorhatte, entpuppt sich für ihn als ein Land, in dem die Funktionäre des NS-Staates noch immer Einfluss ausüben, ein Land unter einem bleiernen Schleier des Verdrängens; hier will er nicht leben. Erst nach jahrelangen bürokratischen Anstrengungen und einer Intervention des Bundespräsidenten Theodor Heuss wird seinem Antrag auf Freistellung für den Auslandsdschuldienst stattgegeben – zu spät: Zwei Tage zuvor, am 22. Mai 1957, stirbt Heinrich Grönewald im Alter von nur 48 Jahren vermutlich an einem Herzinfarkt. Fast zehn Jahre vergehen, bis sein Anspruch auf Wiedergutmachung offiziell anerkannt wird.

Grönewalds Schicksal ist genauso einzigartig wie repräsentativ. Einzigartig, weil nur wenige den Mut, die Tatkraft und die feste Überzeugung hatten, die Grönewald dazu befähigten, seinen Weg so konsequent zu gehen. Repräsentativ, weil so viele Menschen, die den Weg des Exils gewählt haben, um von dort aus für ein “anderes Deutschland” zu kämpfen, bis heute unbekannt, ihre Verdienste bis heute ohne Anerkennung geblieben sind; weil sie im Kleinen wirkten, ohne Aspirationen auf politische Macht. Repräsentativ auch deswegen, weil es noch immer eine große Anzahl von Opfern gibt, von denen man nichts weiß, weil ihr Schicksal still endete, häufig einsam, weil sie schon der mentalen Vernichtung der “Reichsfeinde” anheim fielen, nicht erst der physischen.

Michael Wettern hat ihnen ein Denkmal gesetzt, Heinrich Grönewald und diesen anderen, unbekannten, weil sein Buch zeigt, dass die Vergangenheit noch nicht bewältigt ist.

(Michael Wettern: Heinrich Grönewald 1909-1957. Student und Doktorand der Technischen Hochschule Braunschweig. Ein Leben für die Pädagogik in Braunschweig, Paris und Buenos Aires, Hannover 2011, ISBN 9783775288033.)

Foto:
Heinrich Grönewald im Paris der 30er Jahre.

Un comentario sobre “Heinrich Grönewald: Ein Leben im Exil”

  1. Marta Radeke dice:

    Quisiera enterarme del paradero de Leonor Grönewald, hija de Heinrich Grönewald, pues hacen muchos años “fuimos” amigas,conocí tambien a Ilse, su madre, por las vueltas que da la vida nos perdimos de vista.Yo vivo en Alemania, a Sur-este de Munich.Una posibilidad sería de hacerle llegar a Leonor mi casilla.
    Estaría muy agradecida si fuese posible.


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