Ein Abend mit der Pachamama

Festival der “Jornadas de Paz y Dignidad” im Theater SHA

Von Mirka Borchardt

Vorne auf der Bühne steht eine Frau in indigener Tracht, sie singt, nein, sie betet im Singsang, begleitet von Trommelschlägen: “Zuerst singe ich für die Erde, dann singe ich für meinen Vater im Himmel, dann für meinen Bruder, das Wasser, dann für meinen Bruder, die Luft…” Huch, frage ich mich, in was für einer Esoterik-Veranstaltung bin ich denn hier gelandet?

Der Name dieser Veranstaltung freilich weist schon die Richtung: “Festival de Jornadas de Paz y Dignidad”, “Festival der Tage des Friedens und der Würde2. Es geht um die Einigkeit der Völker Amerikas, um die Prophezeiungen der Vorfahren, namentlich des Adlers und des Kondors, und um das Wasser, das lebenspendende Element. Das kann man den Reden, die am Mittwochabend im Saal des Theaters SHA gehalten werden, entnehmen. Viel mehr allerdings auch nicht. Vielleicht ist es mein deutscher Anspruch, vielleicht bin ich zu gewöhnt daran, dass alles einen Zweck verfolgen muss, jedenfalls wundere ich mich sehr: Keine konkreten Forderungen, keine Aufrufe an die Politik, keine zum Geldsammeln. Stattdessen vage Aussagen: “Die Prophezeiung sagt, die Zeit der Einigkeit sei gekommen.” – “Wir müssen unsere Mutter Erde schützen.” “Pachamama” ist das Wort, das heute Abend am häufigsten fallen wird.

Die “Jornadas de Paz y Dignidad” wurden von der nichtstaatlichen Organisation “Fuego Sagrado de Itzachilatlan” ins Leben gerufen, einer Vereinigung, die sich für indigene Rechte und für den Naturschutz einsetzt und mittlerweile in zehn verschiedenen Ländern existiert. 1992 rief sie zu einer Gegenveranstaltung zu den Feiern zum 500-jährigen Jubiläum der Entdeckung Amerikas auf: ein Lauf durch ganz Amerika. Von Alaska im Norden und Argentinien und Chile im Süden gleichzeitig starteten die Läufer, um sich bei den Pyramiden von Teotihuacan in Mexiko zu treffen und die Riten der indigenen Ureinwohner und die Einigkeit der Völker zu feiern. Alle vier Jahre wird der Lauf wiederholt, mit unterschiedlichen Routen. Dieses Jahr führt sie bloß in eine Richtung: Am 1. Dezember starteten die Läufer in Mexiko, am 21. März werden sie in Chile ankommen.

Zu Ehren der Läufer, und vermutlich zu deren finanzieller Unterstützung – wobei letzteres nicht gesagt wird, das wäre zu viel des Zweckdenkens – wird das Festival in Buenos Aires gefeiert. Nicht nur mit Reden und Gebeten, sondern vor allem mit Musik. Nach dem Eingangsgebet füllt sich die Bühne mit zwölf Frauen und Männern mit Panflöten und Trommeln, “Kaypachamanta” nennen sie sich. Ein wenig dissonant, aber deswegen nicht weniger mitreißend ist ihre Musik. Langsam kommt das Publikum in Schwung: Meist junge Menschen, aber auch kleine Kinder und ein paar durchaus seriös wirkende ältere Damen und Herren wippen im Takt auf ihren Theatersesseln.

Bei der nächsten Band “Arbolito” wippen die ersten im Stehen vor ihren Sitzen. Ein Gemisch aus argentinischer, bolivianischer und uruguayischer Folklore spielen die fünf Musiker, und zwar gar nicht schlecht. Auch hier fehlt die Mutter Erde natürlich nicht: “Pachamama, Mutter Erde, Mutter aller Farben, Mutter aller Liebe”, singen sie, ein paar Zuschauer kennen offensichtlich den Text, im Raum vor der Bühne tanzen fröhlich ein paar dreadbelockte Menschen. Schade, dass das hier in einem Theatersaal und nicht in einer Konzerthalle oder unter freiem Himmel stattfindet, denke ich.

Dann der Höhepunkt des Abends: Die Band “Karamelo Santo”, eine über die Grenzen Lateinamerikas hinaus bekannte Band, Cumbia im Rockformat. Nun ist es mit dem Wippen auf den Sitzen vorbei, die Menschen strömen vor die Bühne, bis nach hinten füllen sich die Gänge an den Seiten des Saals, die Kinder werden auf die Schultern gehoben, das Publikum singt lauthals mit, in der Mitte vor der Bühne wird im Takt gesprungen. Es braucht keine Konzerthalle.

Und plötzlich kommt mir auch das Gerede von Einigkeit und Energie gar nicht mehr so abgedroschen vor.

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