Schriftsteller-Besuch

| Off Topic | 6/5/06 | 0 comentarios

Der deutsche Bestseller-Autor Daniel Kehlmann hielt sich in Buenos Aires auf

Von Susanne Franz

kehl.jpg“Genial, dieser Schriftsteller ist genial!” Horst Stefan von der Buchhandlung ABC ist ganz aus dem Häuschen. Aufgeregt umkreist er den Deutschen Stand auf der Internationalen Buchmesse von Buenos Aires. Stefan spricht vom Bestseller “Die Vermessung der Welt” von Daniel Kehlmann. Er habe das Buch gerade zu Ende gelesen und sei restlos begeistert. “Der hätte den Deutschen Buchpreis verdient und nicht dieser Arno Geiger!”, sagt er zornig und fuchtelt mit einem Faltblatt herum, in dem die Nominierten des jüngst auf der Frankfurter Buchmesse erstmals vergebenen Deutschen Buchpreises aufgelistet sind, unter ihnen Daniel Kehlmann. Wir erwarten den vielversprechenden jungen Shooting Star unter den deutschen Schriftstellern am Deutschen Stand. Er gehört zu den drei Vertretern der deutschen Kulturszene, die eingeladen worden sind, den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf seiner Südamerika-Reise zu begleiten.

Zwei Tage Chile, dann ein Tag – der vergangene 3. Mai – in Buenos Aires, danach noch zwei Tage Brasilien, da ist die Zeit natürlich außerordentlich knapp bemessen. Herr Kehlmann hat dementsprechend nur etwa 20 Minuten Zeit für sein Gespräch mit dem “Argentinischen Tageblatt”. Sehr freundlich und aufgeschlossen, wirkt er noch jünger als seine 30 Jahre. Der für seine bislang fünf Romane und einen Erzählband mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Autor ist sich seines Erfolges natürlich bewusst. Sein jüngster Roman “Die Vermessung der Welt”, Nummer eins auf der “Spiegel”-Bestsellerliste in Deutschland, wird momentan in 22 Sprachen übersetzt – die spanische Übersetzung erscheint in wenigen Monaten auch in Argentinien. Aber von Arroganz keine Spur. “Ich hatte Glück, dass ich nach dem Studium (der Literaturwissenschaft und Philosophie) gleich das machen konnte, was ich gerne wollte” – nämlich als Schriftsteller zu arbeiten, erzählt er.

In seinem im Rowohlt-Verlag erschienenen Roman “Die Vermessung der Welt” verquickt Kehlmann mit außergewöhnlichem erzählerischem Talent die Lebensgeschichten zweier extraordinärer Persönlichkeiten – des Naturforschers Alexander von Humboldt (1769-1859) und des genialen Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777-1855). Dass noch niemand vor ihm auf die Idee gekommen sei, über die “so naheliegenden, so zwingenden” Gemeinsamkeiten und Kontraste, “diese wunderbare Komplementarität” der beiden Zeitgenossen zu schreiben, wundert ihn geradezu. Es handele sich bei von Humboldt und Gauß “um zwei Arten von Wissenschaftlern, zwei Arten von Freiheit, zwei Arten von Menschsein”, erläutert Kehlmann. Der eine habe sie in der Bewegung gelebt (von Humboldt mit seinen Forschungsreisen), der andere im Geiste (der visionäre Wissenschaftler Gauß, der die
Vorstellungen der Menschen vom Universum verändert hat).

Er erkläre natürlich Gauß’ hochkomplizierte Theorien nicht, räumt
Kehlmann lächelnd ein, sie spielten vielmehr “auf Romanebene hinein”. Sein Buch sei “kein lehrreicher Roman”. “Ich mache kein didaktisches Angebot wie beispielsweise Umberto Eco”, sagt Kehlmann. “Bei mir lernt man nichts. Man liest einen Roman.” (Dem hätte Herr Stefan vehement widersprochen, wenn er mit am Tisch gesessen hätte – hatte er doch zuvor gerade geschwärmt, wie viel er aus Daniel Kehlmanns Roman gelernt habe!)

Ganz wichtig ist Daniel Kehlmann die Aufnahme seines Romans in
Südamerika. Der junge Autor outet sich freimütig als großer Bewunderer der südamerikanischen Literatur und bezeichnet Gabriel García Márquez als “den größten Schriftsteller unserer Zeit”. Für Jorge Luis Borges und Mario Vargas Llosa, der auch mit unterschiedlichen Erzählebenen arbeite, hegt er allergrößte Bewunderung.

Alexander von Humboldt war der einzige Vertreter der deutschen
Klassik, der Südamerika betreten hat. Für Kehlmann war diese Tatsache “mein persönlicher Schlüssel zu einer Art südamerikanischem Erzählen”. “Die Vermessung der Welt” ist eine Komödie über die deutsche Klassik, deren leicht verstaubtes Pathos sie parodiert und urkomische humoristische Effekte erzielt. “Ich finde, Lachen und Respekt dürfen einander nicht ausschließen”, sagt Daniel Kehlmann. Wer jetzt neugierig geworden ist, muss sich in Geduld fassen: “Die Vermessung der Welt” ist am Deutschen Stand (Gelber Pavillon, Stand 2014) der noch bis Montag stattfindenden Buchmesse längst ausverkauft. Das einzige (unverkäufliche) Exemplar darf man aber sicher einmal in die Hand nehmen – und Herr Stefan nimmt gerne Bestellungen entgegen.

Unterdessen kann man sich freuen, dass Daniel Kehlmann mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Gast auf der nächsten
Internationalen Buchmesse von Buenos Aires sein wird. Ein längeres Interview mit dem “Argentinischen Tageblatt” hat er schon versprochen.

Der Artikel erschien am 06.05.06 im “Argentinischen Tageblatt”.

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