Erzählkunst, Auszeichnungen, Zufall
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Erfolgsrezepte der argentinischen Literatur
Von Jürgen Ramspeck
“Manchmal kann es helfen, die Tochter des Verlegers zu heiraten”, sagt Daniel Divinsky, Eigentümer des “De La Flor”-Verlags. Nur gibt es nicht ausreichend Verleger-Töchter und -Söhne, um allen Autoren Argentiniens Erfolg auf dem internationalen Buchmarkt zu bescheren. Ernsthaft fügt Divinsky hinzu, Autoren müssten beim Leser Bedürfnisse wecken, von denen dieser gar nicht wusste, dass er sie habe.
Dennoch befassen sich etwa ein Drittel der für die Buchmesse übersetzten Bücher mit einem Thema, das die Deutschen häufig mit Argentinien verbinden: die Militärdiktatur. Der tatsächliche Anteil des Themas in der argentinischen Gegenwartsliteratur beträgt nach Angabe der Präsidentin des Organisationskomitees COFRA, Magdalena Faillace, dagegen nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz.
“Das deutsche Publikum möchte mehr als andere über die Militärdiktatur wissen”, ist Claudia Piñeiro überzeugt. Doch gerade sie beweist mit ihrem Roman “Die Donnerstagswitwen” (“Las viudas de los jueves”), dass gerade Skurriles aus dem Alltag eine Stärke ihrer Generation ist. Allerdings, sagt die 50-Jährige, gab erst der “Premio Clarín” 2005 den Startschuss für über 160.000 in Argentinien verkaufte Exemplare und damit den wirtschaftlichen Erfolg. In den Augen Piñeiros ein Beispiel für eine funktionierende Symbiose: “Die Verlage denken an den Markt, wir Autoren an den Leser.”
Guillermo Martínez hat einige Texte über die Militärdiktatur veröffentlicht, setzt aber bewusst im Schwerpunkt auf andere Themen: “Die Diktatur ist lawinenartig zu einem Klischee geworden. Davon habe ich mich ganz bewusst distanziert.” Daher schreibt der 48-Jährige Familien-, Erotik- und skurrile Erzählungen. Kritiker in Deutschland loben diese im Sammelband “Gewaltige Hölle: Erzählungen” (“Infierno Grande: Cuentos”) veröffentlichten Geschichten durchweg. Oft schreibt der gelernte Mathematiker auch aus seinem Alltag als Professor.
Ähnlich geht Eduardo Sacheri neue Buchprojekte an: “Ich kann nur über Themen schreiben, die ich liebe oder hasse.” Daher seien seine Fußballbücher so erfolgreich, offensichtlich geschrieben aus Liebe zum Fußball. Der Fußball sei fest im Alltag der Menschen verwurzelt. Jeder könne mitreden, jeder fiebere mit. Vor oder während des Schreibens an den späteren ökonomischen Erfolg zu denken, führe normalerweise zu schlechten Ergebnissen.
Die Handlung seines Kriminalromans “In ihren Augen” (“El secreto de sus ojos”), Grundlage des gleichnamigen, oscargekrönten Films, hat der Historiker Sacheri bewusst ins Jahr 1974 verlegt. Über die Zeit der Militärdiktatur sei schon sehr viel geschrieben worden. Diese habe aber nicht erst mit den Staatstreich am 24. März 1976 begonnen: “Um die Diktatur ansatzweise verstehen und erklären zu können, muss man auch die Vorgeschichte kennen. In der Literatur wird diese bislang kaum behandelt.”
Die Schlüssel zum Erfolg argentinischer Literatur sind vielfältig: bekannte Themen, Erzählkunst, Gefühle oder Auszeichnungen. Aber manchmal, weiß Daniel Divinsky, entscheidet über den Erfolg eines Buches einfach auch nur “der verdammte Zufall” (“la puta casualidad”).
Info:
- Claudia Piñeiro, Jahrgang 1960, Journalistin. Auf Deutsch erschienen: “Die Donnerstagswitwen” (ausgezeichnet mit dem “Premio Clarín”), “Ganz die Deine”, “Elena weiß Bescheid” (ausgezeichnet mit dem “Liberaturpreis”)
- Guillermo Martínez, Jahrgang 1962, Mathematiker. Auf Deutsch erschienen bislang: “Die Pythagoras-Morde” (ausgezeichnet mit dem “Planeta-Preis”), “Gewaltige Hölle” (u.a. ausgezeichnet mit dem “Premio Nacional Roberto Arlt”), “Der langsame Tod der Luciana B”
- Eduardo Sacheri, Jahrgang 1967, Historiker. Auf Deutsch erschienen bislang: “Die Hand Gottes und andere Tangos: Fußballgeschichten”, “Warten auf Perlassi”
Fotos von oben nach unten:
Verleger Daniel Divinsky.
Erfolgsautorin Claudia Piñeiro.
(Fotos: Jürgen Ramspeck)