Szenen einer Ehe
“Copie conforme” von Abbas Kiarostami
Von Anna Weber
Wir leben in einer Welt voll von Kopien. Wir imitieren und vervielfältigen. Wir kopieren und fälschen. Und gleichzeitig suchen wir das Wahre, das Echte, das Einzigartige. Ist eine Kopie notgedrungen eine Verfälschung? Ist ein Original echter als sein Imitat? Und wer entscheidet dies?
“Es ist meine Absicht zu zeigen, dass die Kopie selbst Wert besitzt und zum Original führt”, sagt der Protagonist im Film “Copie conforme” von Abbas Kiarostami (Der Geschmack der Kirsche, 1997). James (William Shimell) ist Schriftsteller und hat ein Buch über Originale und Kopien verfasst. Er präsentiert sein Werk an einer Lesung in der Toscana, und im Zuschauerraum sitzt eine namenlose französische Galeristin (Juliette Binoche). Sie kommt zu spät und geht zu früh. Was bleibt, ist eine Telefonnummer. Es folgt ein Treffen, eine Autofahrt zwischen Zypressen und eine kalte Tasse Kaffee in einem Dorf, wo sich Kopien in Originale verwandeln. Schriftsteller und Galeristin werden für ein Ehepaar gehalten, und statt dieses Missverständnis aufzuklären, nehmen sie die Herausforderung an und schaffen die perfekte Imitation einer fünfzehnjährigen Ehe.
Handlung ist da kaum. Doch aus der Aneinanderreihung von Dialogen und Großaufnahmen entstehen Szenen einer Ehe, die aufwühlen und verunsichern. Sind dies wirklich zwei Fremde, die Ehe spielen? Oder aber verhält sich alles genau umgekehrt und dem Zuschauer wird ein echtes Paar gezeigt, das vorgibt, sich nicht zu kennen? Kiarostami entzieht dem Zuschauer den festen Boden, von dem er urteilen könnte, und verbietet mit seinen Kameraeinstellungen jegliche Objektivität. Selten sieht der Zuschauer, wovon die beiden Protagonisten sprechen. Er ist auf deren Worte angewiesen, auf die Reaktion des Gesehenen in ihren Gesichtern. Und schließlich wird ihm ein Gesicht gezeigt, das sich selbst im Spiegel betrachtet. Er erhält das Abbild des Abbilds.
Niemals spielen Binoche und Shimell für die Kamera. Statt durch die Linse, sieht man das Gesicht der beiden Schauspieler stets durch die Augen des jeweils anderen, niemals von außen. Ist das Gesehene echt? Wer weiß. Echt ist auf jeden Fall die darstellerische Leistung. Als schauspielende Schauspielerin gewann Juliette Binoche den Preis als beste Hauptdarstellerin in Cannes, und der Sänger William Shimell wird in seiner ersten Filmrolle als Neuentdeckung gefeiert.
Aber was ist denn nun echt: Original oder Kopie? Ehe oder Schauspiel? Vielleicht sind diese Fragen gar nicht wichtig, scheint Kiarostami zu antworten. Wichtig ist lediglich, was aus der Reibung zwischen Realität und Fiktion entsteht: Ein Neubeginn.