Über das Normale hinaus
50 Streetart-Künstler zeigen in Parque Patricios Graffiti-Kunst
Von Susana Zickert
Um Kunst zu sehen, muss man nicht in ein Museum oder eine Galerie gehen. “Kunst ist alles”, wie der Fotograf Antonio an diesem späten Nachmittag überzeugt sagt. Er steht vor einem der Gemälde in Parque Patricios. 50 Künstler haben sich hier am letzten Wochenende zusammengefunden. Aufgerufen wurden sie von Banco Ciudad. Angesichts des neuen Gebäudes des Architekten Norman Foster, das sich allerdings noch im Bau befindet, wurden rund um den Häuserblock, der die Baustelle bildet, weiße Holzbretter aufgestellt, auf denen jetzt Kunst, genauer gesagt “Arte Urbano”, Street Art oder wie man es nennen will, gemacht wird.
Was hier relativ gesittet aussieht, bekommt man meistens an Wänden, Zügen, unter Brücken oder auf sonstigen öffentlich gut sichtbaren Orten zu Gesicht. Gerade die Anpassung an die Umwelt, machen die Arbeit eines Streetart-Künstlers aus. So halten sich die wenigsten an diesem Nachmittag an die Begrenzungen der Bretter, sondern machen Kunst über den Rand des “Normalen” hinaus.
Pum Pum, die schon seit einiger Zeit die Straßen von Buenos Aires durch ihre Selbst-Karikaturen verschönert, erkennt in der Streetart auch eine Lebenseinstellung. “Es hat Auswirkung auf alles. Es ist wie ein Filter, mit dem du durch die Straßen läufst. Farben, Design, Lichter.” Szenetypisch zeigt auch Pum Pum nicht gerne ihr Gesicht. Unter einer modischen Sonnenbrille versteckt sich eine bescheidene. zurückhaltende Künstlerin, die, wie viele hier, ihre Kunst für sie sprechen lässt.
Vertieft arbeiten sie alle. begleitet von Live-DJs, an ihren ganz persönlichen Werken. Mit Sprühfarbe, Collagen, Pinsel oder Kleber, eine Menge Materialien sind vertreten. So sind auch die Motivationen ganz unterschiedlicher Natur. Pum Pum sieht in der Streetart ein “persönliches Bedürfnis, sich auszudrücken”. Die Kunst von 3,14 Nal, eine Kooperation zwischen Tochter und Vater, soll “neben der Kritik an Politik, die Stadt verschönern”. Hingegen meint Lean Frizzera, dass “es weder Mode noch Politik ist. Ich male nackte Frauen, weil ich sie mag. Da gibt es keinen Hintergrund”. Fabiana Martínez, eigentlich plastische Künstlerin, nennt es “Kommunikation, auf der Suche nach der kulturellen Identität”.
Doch auch das scheinbar freie Graffiti hat sich mit den Jahren in eine Mode der Konsumgesellschaft verwandelt. Man sieht viel Fashion, es läuft Hip-Hop-Musik, und zum Schluss wird Breakdance gezeigt. Das Drumherum ist ein Lifestyle, der im Paket “Streetart” gleich automatisch mit dazu geliefert wird. “Bestimmt gibt es sowas. Aber der einzige Lifestyle, der uns Künstler definiert, ist, dass wir uns nie in unsere Werke verlieben. Wird die Mauer abgerissen, ist das Graffiti weg”. sagt 3,14 Nal. Moden verschwinden, Kunst bleibt.
Abseits der konsumierenden Zuschauer, die sich den Breakdance anschauen, malen die Künstler alleine weiter. Ein paar haben sich auch schon stillschweigend in die Seitenstraßen verzogen, auf der Suche nach Flächen und Formen, weit über die kahle Holztafel hinaus.
Fotos von oben nach unten:
Graffiti-Künstlerin Pum Pum bei der Arbeit.
Breakdance vor dem Gelände, auf dem das neue Gebäude von Banco Ciudad entstehen soll.
(Fotos: Pablo Rothschild)