Fließende, zackige Anmut
Zeitgenössisches Ballett im Theater San Martín
Von Laura Meyer
Ballett unterlegt mit Elektromusik, dazu zackige Bewegungen, fließende Gruppendynamiken und der immer wiederkehrende elektronische Beat: Im Teatro San Martín sind noch bis zum 12. Dezember, unter der Leitung von Mauricio Wainrot, drei zeitgenössische Ballett-Aufführungen zu sehen.
“Sort Sol” (Schwarze Sonne) von den Choreografinnen Ana Garat und Pilar Beamonte eröffnet die Vorstellung, und ist gleichzeitig Premiere des Stückes. 16 Tänzer, ein Vogelschwarm: der “Sort Sol”. Das Phänomen, unter dem Namen “Schwarze Sonne” bekannt, ist ein jährliches Zusammentreffen tausender Vögel, welche sich in den endlosen Himmeln Jütlands in Norwegen zu einem gewaltigen Spektakel zusammenschließen. In dem Licht einer untergehenden Sonne bilden die Tänzer die einheitlichen, fließenden Bewegungen der Vögel nach. 25 Minuten ohne Atempause werden die Zuschauer in den Bann des Werkes gezogen. Unterlegt mit einem gleichmäßigen Takt schweifen die Tänzer in stiller Einheit über die Bühne, friedlich, in sich selbst ruhend, wie vom leichten Wind getrieben. Mal nach rechts, mal nach links, mal weitet sich der Schwarm, mal zieht er sich zusammen. Die gleichmäßige Formation, in der die Gruppe wichtiger ist als der Einzelne, löst sich am Ende von einem Moment auf den anderen auf, wie ein Schwarm, der sich plötzlich in alle Himmelsrichtungen zerstreut.
Das zweite Stück, “Muta” von Gustavo Lesgart, ebenfalls Erstaufführung, überrascht. Aus der Trance des ersten Stücks gerissen, wird der Zuschauer nun Zeuge einer von Kraft strotzenden Gruppendynamik. Anfangs ein kriechender Menschenhaufen, in transparente Kostüme gekleidet, verwandelt sich die Masse zu rasenden Beats immer schneller, mit abrupten Bewegungen und beeindruckenden Hebefiguren, in eine Einheit. Die Gruppe, das Herz des Stückes, löst sich am Ende auf, jeder verschwimmt mit dem Anderen, bis sich die Masse zu einer einzelnen Tänzerin vereint. Alleingelassen, einsam, greift sie nach Etwas, oder Jemandem, bis am Ende der Vorhang fällt.
Das dritte und letzte Stück, “Cuerpo Sutil” von Laura Roatta, führt den Zuschauer wieder in weichere Gefilde, unterlegt mit Gesang und einer wiederkehrenden Cellomusik. Die besten Tänzer des Abends vereinen sich in diesem letzten Stück zu einer anrührenden, sehnsüchtigen Darstellung des Weiblichen und des Männlichen. Ein Paar bildet das Zentrum des Stückes, getragen von den anderen Tänzern, nimmt es an der Liturgie des Lebens teil.
Jede Choreografie bildet eine individuelle Einheit, es ist unmöglich, sie miteinander zu vergleichen. Getragen vom fließenden Vogelschwarm von “Sort Sol”, gefangen im zackigen Takt von “Muta” und befreit durch die anmutigen Figuren des “Cuerpo Sutil”, erlebt der Zuschauer eine außergewöhnliche, berührende Darstellung zeitgenössischer Tanzkunst im Teatro San Martín, die unbedingt zu empfehlen ist.
Weitere Vorstellungen: Samstag, 28.11., und Sonntag, 29.11., jeweils um 17 Uhr. 140 Pesos. Im Dezember: Freitag, 4.12., 20.30 Uhr, Samstag, 5.12., 20.30 Uhr, Sonntag, 6.12., 19 Uhr, Donnerstag, 10.12., 14.30 Uhr, Freitag, 11.12., 20.30 Uhr, und Samstag, 12.12., 20.30 Uhr. 140 Pesos; donnerstags 65 Pesos.
Foto:
“Cuerop Sutil” von Ana Garat und Pilar Beamonte.
(Foto: Carlos Flynn)