Wenn Orte sprechen
Die deutsche Dokumentaressayistin Juliane Henrich war bei 16. Internationalen Dokumentarfilmfestival “Doc Buenos Aires”
Von Ivana Forster
Eine ganze Woche widmete sich das Doc Buenos Aires zum 16. Mal dem Besten, was das Dokumentarkino derzeit zu bieten hat. Vom 20. bis zum 27. Oktober lud das Filmfestival nationale und internationale Künstler ein, ihre Werke zu präsentieren und diskutieren. Unter ihnen auch zwei deutsche – eine davon ist die 1983 geborene Juliane Henrich, die vom Goethe-Institut Buenos Aires eingeladen wurde. Die Filmemacherin lebt und arbeitet in Berlin und beschäftigt sich in ihren Dokumentationen besonders mit öffentlichen und privaten Räumen und Architektur.
Ivana Forster: Sie haben in Leipzig und Berlin Literarisches Schreiben und Kunst und Medien studiert. Da ist der eingeschlagene Karriereweg nicht abwegig. Gab es trotzdem ein ausschlaggebendes Ereignis, das zu genau diesem Beruf führte?
Juliane Henrich: Nein, eigentlich nicht. Ich habe zuerst Literarisches Schreiben studiert. Man könnte das eine Kunsthochschule für das Schreiben nennen. Die Ausbildung gibt es in Deutschland nur in Leipzig und Hildesheim. Aber dort habe ich gemerkt: Ich will nicht nur schreiben, sondern auch etwas mit Bildern machen. Ich bin dann nach Berlin gegangen, um Kunst und Medien als Filmstudiengang zu studieren. Seitdem mache ich Filme. Aber Text ist immer noch eine wichtige Referenz.
IFO: Sie sind in Solingen geboren, in Bielefeld aufgewachsen und haben im Osten studiert. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
JH: In meinem Film “Aus westlichen Richtungen” geht es eigentlich um den alten Westen – mit Perspektive auf die Teilung. Es geht vor allem um Architektur in Westdeutschland, die ich als Kind kannte und wahrgenommen habe und die mir dann im Kontrast sehr stark aufgefallen ist, als ich in Leipzig gelebt habe und meine Eltern im Westen besucht habe. Dort herrschte ein ganz anderer Architekturstil vor. Ich dachte, ich muss irgendetwas über das Gefühl machen, das mit dieser Architektur zusammenhängt. Nach und nach kamen dann andere Ideen dazu. Dass es eigentlich auch um die politischen Hintergründe geht.
IFO: Sie sagten einmal, dass Ihre Filme davon handeln, wie Orte sich verändern und neu schreiben. Inwiefern hat ein Ort in Ihrer Auffassung ein Eigenleben?
JH: Das kann man sich auch fragen. Und ich glaube, darum geht es auch. Es gibt bestimmte Atmosphären, die vielleicht mit der Geschichte eines Ortes zusammenhängen. Aber was ich damit meinte, waren vor allem die Definitionen, die Menschen Orten zuschreiben. Etwa, dass man einem Ort einen Namen gibt. Es gibt einen Kurzfilm namens “Schleifen”, in dem es um Orte geht, die abgerissen und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. In dem Zusammenhang fand ich spannend, ob ein Ort der gleiche ist, weil er genauso heißt und die gleichen Leute dort wohnen. In anderen Arbeiten geht es auch darum, dass sich auch der Westen als Definition im Laufe der Zeit verschiebt. Dieser ursprüngliche goldene Westen, den man vielleicht einmal vom Osten aus bewundert hat, der inzwischen doch sehr heruntergekommen und überhaupt nicht mehr glamourös aussieht.
IFO: Inwiefern prägen sich Architektur, öffentlicher Raum und Gesellschaft gegenseitig?
JH: Das ist eine der großen Fragen, die ich mir mit den Filmen stelle. Ich kann nicht genau sagen, wie, aber es passiert definitiv. Dass Menschen sich vielleicht anders verhalten in bestimmten Räumen und dass vieles, was man sich ausgedacht hat für die Architektur, was sie eigentlich sein soll, beispielsweise in westdeutschen Städten oft nicht funktioniert hat. Es vermittelt eher den Eindruck von Kälte. Ich glaube, manche Leute sehen das als reine Kritik an dieser Architektur. Für mich ist es aber auch mit Nostalgie verbunden.
IFO: In Ihren Filmen sind oft sehr wenige Personen zu sehen. Was macht für Sie den Reiz daran aus, Filme mit wenigen Menschen und vielen Standbildern zu drehen?
JH: Ich glaube, ich persönlich finde diese Strukturen am interessantesten – architektonische Strukturen und diese Überschneidungen von Altem und Neuem, das im Stadtbild gebaut ist. Menschen ziehen natürlich wahnsinnig viel Aufmerksamkeit auf sich, wenn sie im Bild sind. Beispielsweise in “Aus westlichen Richtungen” geht es auch um diese Atmosphäre der Anonymität und dass man das gar nicht so sehr in Bezug zum Menschen setzt.
IFO: Was ist Ihnen bisher in Buenos Aires aufgefallen, was Architektur und öffentlichen Raum angeht? Wäre es reizvoll, hier einmal zu drehen?
JH: Auf jeden Fall. Ich kenne die Stadt noch nicht so gut, ich bin erst vor wenigen Tagen angekommen und ein wenig herumgelaufen. Aber ich achte immer sehr stark auf Architektur und Stellen, an denen man sich fragt, warum die Stadt so gebaut ist. Alles ist in diesem Schachbrettmuster angelegt, das finde ich sehr interessant. Eigentlich müsste man denken, man findet sich besser zurecht. Aber ich verlaufe mich eher. Vielleicht ist mein Gehirn darauf eingestellt, dass es Kurven gibt. Ein Projekt hier würde mich definitiv reizen.
Foto:
Die Dokumentaressayistin Juliane Henrich.
(Privat)