Schnittstelle von Kunst und Kino (2005)
Heinz Peter Schwerfel, deutscher Regisseur und Kunstkritiker, spielte auf dem 7. Festival des Unabhängigen Kinos in Buenos Aires (BAFICI) 2005 eine besondere Rolle
Von Susanne Franz
Er ist der Mann fürs Deutsche und für die Kunst beim Festival des Unabhängigen Films in Buenos Aires. Heinz Peter Schwerfel hat die deutschen Beiträge des Festivals ausgewählt, bietet elf Programme von Künstlerfilmen an und stellt darüber hinaus seinen eigenen Dokumentarfilm „Hotel Nooteboom“ über den niederländischen Schriftsteller Cees Nooteboom vor. Diesem Genre hat Schwerfel auch seinen internationalen Ruf zu verdanken. Der TV-Kabelsender Film&Arts zeigt zeitgleich mit dem Kinofest den Zyklus „El ojo de Schwerfel“ (Schwerfels Blick) mit seinen Beiträgen über berühmte Künstler, Philosophen und Theatermacher.
Zum Festival des Unabhängigen Films kam der 50-jährige Kölner über Fernando Martín Peña, den neuen Festival-Direktor. Peña, ein bekennender Schwerfel-Fan, betraute den Deutschen, der seit 2004 in Buenos Aires lebt, mit der Auswahl des deutschen Programms. Die beiden kennen sich vom Museum für Lateinamerikanische Kunst (MALBA), wo Peña das Kino-Programm leitet und im August 2004 eine Retrospektive des deutschen Filmemachers lief.
Seinen Nooteboom-Film hat Heinz Peter Schwerfel schon im Dezember 2003 fertiggestellt; in den deutschen Kinos lief er ab Oktober 2004. Im Programm des Unabhängigen Kinofestival von Buenos Aires 2005 läuft der neue Schwerfel-Film zweimal.
Schwerfel nähert sich dem 1933 geborenen holländischen Literaten und Weltbürger auf ganz persönliche, geradezu intime Weise. Nooteboom, der in Deutschland vor allem als Reiseschriftsteller bekannt wurde, wird in einem Porträt vorgestellt, das der Literatur das Wort überlässt und dennoch in Bildern spricht. Dabei wird Nootebooms Leben und Denken mit dem seiner Romanhelden verwoben. Der Film besteht aus vier Handlungssträngen, die sich immer wieder kreuzen: einmal die Reisen und Begegnungen des heutigen Nooteboom, seine Spaziergänge durch Lissabon, Paris, Berlin und Budapest, seine Arbeit am Schreibtisch, die Gespräche mit Freunden, die ihr jeweiliges Lieblingsbuch vorstellen. Dazu authentisches, aber auch fingiertes Archivmaterial von Lesungen, Ehrungen und historischen Momenten, die Nooteboom erlebte. So verschmilzt seine Lebensgeschichte auch mit der Zeitgeschichte der letzten 50 Jahre.
„Hotel Nooteboom“ ist nicht Schwerfels letzter Film. Von September bis November 2004 stellte er für den Fernsehsender Arte in Berlin einen Dokumentarfilm über die umstrittene Flick-Sammlung fertig, der im Januar 2005 in Deutschland ausgestrahlt wurde, und drehte dann in Buenos Aires in Zusammenarbeit mit Film&Arts den Dokumentarstreifen „Retratos“ über die Sammlung des Museo Nacional de Bellas Artes (MNBA). Die Uraufführung dieses allerneuesten Schwerfel-Films findet – unabhängig vom Kinofestival – am 19. April 2005 im Auditorium des MNBA statt, und wird dann bei Film&Arts gezeigt.
„Bisher wurden auf dem BAFICI eher kommerzielle deutsche Filme gezeigt“, sagt Heinz Peter Schwerfel. Der jetzt „German Films“ genannte Vertrieb, die damalige Export Union des Deutschen Films, habe einige der Filme, die er ausgewählt habe, gar nicht in ihrem Programm, da es nicht sehr wahrscheinlich sei, dass sie hier gekauft und kommerzialisiert werden könnten. Als Beispiel nennt Schwerfel den Dokustreifen „Höllentour“ über die Tour de France, der in Deutschland mit viel Erfolg in den Kinos gelaufen sei.
Das deutsche Kino befinde sich in einem sehr guten Moment, sagt Schwerfel, wobei gerade abendfüllende Dokumentarfilme einen nie dagewesenen Boom erlebten. Dieses – weltweit zu beobachtende – Phänomen sei sicher nicht zuletzt Michael Moore zu verdanken, „obwohl ich seine Filme nicht immer mag“. Moores Erfolgsdokus hätten dazu geführt, dass sich auch die Filmförderung beispielsweise in Deutschland oder Argentinien verstärkt der Dokumentarfilmer angenommen habe.
Im deutschen Programm des diesjährigen Festivals zeigt Schwerfel neben einem langen Spielfilm immer auch einen Kurzfilm von einem jungen Filmemacher unter 35 Jahren. Dabei hat er vor allem solche Filme ausgewählt, die bereits mit deutschen oder internationalen Preisen ausgezeichnet wurden, wie „Allerleihrauh“ von Anja Struck.
Die Vorgehensweise, immer einen langen und einen kurzen Film zusammenzulegen, wendet er auch in seinen 11 Programme umfassenden Festivalsektion „Cine de artistas“ (Künstlerfilme) an. Schwerfel, der im Jahr 2002 in Köln die KunstFilmBiennale gegründet hat, auf der Künstlerfilme gezeigt werden und ein mit 35.000 Euro dotierter Nachwuchspreis vergeben wird, befasst sich seit Jahren mit Kunst, Film und Kino gleichzeitig. Bevor er Kunstkritiker war, war er Filmkritiker. Aufgrund seiner Kenntnisse sei er einfach der richtige Mann am richtigen Ort, meint er – das Interesse an Künstlerfilmen habe ohnehin „in der Luft“ gelegen. Nicht nur wegen des neuen Festival-Leiters Peña – auch mit dem alten Festivaldirektor Quintín hätte es die Reihe der Künstlerfilme auf dem Kinofest gegeben, erzählt er, „wenn der nicht gefeuert worden wäre“. Auch aus Rio de Janeiro hat Schwerfel mittlerweile die Anfrage erhalten, eine Festivalsektion mit Künstlerfilmen zu gestalten.
Für das Festival des Unabhängigen Kinos in Buenos Aires hat Schwerfel einen Überblick der besten Künstlerfilme der letzten fünf Jahre zusammengestellt, aber es gibt auch einige Weltpremieren. Dazu zählt der neueste Film des US-Amerikaners Matthew Barney, der momentan der größte Star der Künstlerfilmszene ist.
Künstlerfilme sind für Schwerfel „die neueste Ausdrucksform der Kunst“. „Es gibt keine zeitlose Kunst, Kunst muss immer mit Gesellschaft zu tun haben“, postuliert er. Dieses „kritische Begleiten einer Epoche“ erreichten die Künstler heute am ehesten durch die „neue Wucht des Kinos“.
Wenn der renommierte Regisseur und Kunstkenner doch noch ein Jahr an seinen Argentinienaufenthalt anhängen sollte, würde er als nächstes Projekt gerne einen Film über die Jesuitenmissionen und den noch heute wirksamen kulturellen Einfluss des Barock drehen. „Das war der erste Versuch, eine multikulturelle Gesellschaft aufzubauen, ohne Unterdrückung der Kolonisierten durch die Kolonisatoren“, erwärmt sich Schwerfel für das Thema. Dazu würde er den Mexikaner Carlos Fuentes einladen, eine jener „Persönlichkeiten, die über Grenzen hinweg denken“. Und das sind ja die Menschen, die Schwerfel am meisten interessieren, der auch jemand ist, für den Grenzen nicht zu existieren scheinen.
Der Artikel erschien im April 2005 im “Argentinischen Tageblatt”.