Auf den ersten Blick (2004)

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Das Projekt „First View“ im Kulturdialog Berlin-Buenos Aires

Von Susanne Franz


Tanz der Ampelmännchen: „Rot Eins“ von Cristina Piffer und Gabriel Valansi im Berliner Stadtteil Lichtenberg.

Mit seinem zugrundeliegenden Prinzip des Austauschs hat das Unternehmen „First View – Interventionen im öffentlichen Stadtraum von Berlin und Buenos Aires“ die Verwirklichung des Gegenseitigkeitsgedankens im Metropolenprojekt vielleicht am radikalsten von allen umgesetzt.

Waren die meisten Ausstellungen, Konzerte oder Filmveranstaltungen eher gegenseitige Besuche, um sich einander mit seiner Kultur und Lebensweise vorzustellen, haben bei „First View“ deutsche und argentinische Künstler gemeinsam in beiden Städten Ideen und Vorschläge für temporäre, das Stadtbild verändernde Kunstaktionen erarbeitet und umgesetzt. Dabei war die Sensibilität der Beteiligten stark gefragt und beansprucht, denn ausgehend von einem „ersten Eindruck“ in einer fremden Stadt, einer fremden Kultur, Kreatives, Originelles und Profundes zu erschaffen, kann man nur als große Herausforderung betrachten.

Was die drei argentinischen Künstler Gustavo Romano, Cristina Piffer und Gabriel Valansi und ihre deutschen Künstlerkollegen Seraphina Lenz, Ilse Deberle und Roland Boden im August/September in Berlin auf die Beine gestellt haben, wirkt erstaunlich rund und durchdacht und hat doch den besonderen Reiz der Spontanität. Eine Dokumentation von „First View, Teil 1: Berlin“ kann man seit Ende September 2004 im Centro Cultural Recoleta sehen.

In den Künstlerwohnungen des CCR ist momentan auch die fünfköpfige
deutsche „First View“- Delegation untergebracht: die drei genannten Künstler und Birgit Schumacher und Uwe Jonas. Beide waren in Deutschland nicht nur – von den Argentiniern hoch gelobte – Kuratoren und Produzenten des Projekts, sondern haben es auch erdacht. „Der erste Impuls ging vom Iberoamerikanischen Institut und Dr. Dorothea Kolland vom Kulturamt Neukölln aus“, erklärt Birgit Schumacher. Neukölln bildet gemeinsam mit Lichtenberg und Treptow-Köpenick die drei miteinander kooperierenden Bezirke in Berlin, in denen die „First View“-Projekte durchgeführt wurden. „Vor etwa einem Jahr trug Frau Kolland dann die Idee an uns heran, im Rahmen des Metropolenprojekts Berlin-Buenos Aires ein Austausch-Projekt zu konzipieren.“ So entstand „First View“, ein ganz neuartiges „Experiment“, wie es Uwe Jonas nennt.

Mit Phase 1 sind alle Beteiligten sehr zufrieden, und alle sind mit Enthusiasmus dabei, ihre Interventionen in Buenos Aires zu erdenken und ihre Umsetzung in die Wege zu leiten. Ab Mitte Oktober 2004. wird man „First View Teil 2“ in Buenos Aires erleben können.

Dabei werden auch Birgit Schumacher und Uwe Jonas diesmal als Künstler in Aktion treten, da hier die Produktion von der Stadt Buenos Aires organisiert wird. Sie haben vor, auf der Straße Thames in Palermo Viejo eine Boutique zu mieten und im typischen „obercoolen“ Stil des Hip-Viertels einzurichten – doch die Sache hat einen Haken.

Seraphina Lenz, die in Berlin ein kleines, vernachlässigtes Stück Spree-Ufer „neu gestaltet“ und erobert hat, will auf der Plaza San Martín und vielleicht anderen Plätzen der Stadt kleine Plastikgegenstände liegenlassen und ihre Mitnahme dokumentieren; sie möchte auch eine Zeitschrift herausgeben.


Seraphina Lenz’ Uferwelt.

Ilse Deberle hat in Berlin mit Spreewasser gearbeitet und wollte zunächst auch in Buenos Aires das Wasser zum Thema machen. Dann verschob sich ihr Interesse jedoch in eine ganz andere Richtung. Sie befindet sich ganz in der Planungsphase und wollte noch nichts Genaueres verraten.


“Im öffentlichen Raum wird die Dusche zur Metapher, und befördert sie Wasser aus dem Fluss genau dorthin zurück, stimmt da was nicht.” Ilse Deberles Installation “Buenas Aguas” in Lichtenberg.

Roland Boden wird mit Aufklebern arbeiten, die auf der Straße verteilt werden und einige ungewöhnliche Anweisungen enthalten werden.

Der Argentinier Gabriel Valansi hat in Berlin mit Cristina Piffer gemeinsam zwei Projekte durchgeführt: Sie projizierten zum einen eine Abfolge von Bildern, auf denen sie „ehemalige Ikonen des Ostens“ (Valansi) festgehalten hatten, an die Wand einer Unterführung am Spree-Ufer; durch die Spiegelung im nächtlichen Wasser wurde eine zusätzliche entrückte Qualität erreicht.


Spiegelungen der Erinnerung: „Rot Zwei“ von Cristina Piffer und Gabriel Valansi im Berliner Stadtteil Treptow-Köpenick.

Zum anderen schufen sie eine Installation mit Ampelmännchen aus dem ehemaligen Ostteil der Stadt, die sie aus rotem reflektierendem Material herstellten und auf dem See anbrachten. „Die sind dann so nach und nach versunken – auch ziemlich symbolisch! – oder von den Leuten, die vorbeiruderten, gestohlen worden“, sagt Valansi mit einem Lächeln in der Stimme. Das sei ja auch der Sinn einer solchen, flüchtigen Kunst. Er wird auch jetzt wieder mit Piffer zusammenarbeiten, wobei mehrere Ideen zur Auswahl stehen. Nur der Ort ist schon klar: der Deutsche Brunnen auf der Plaza Alemania.

Zeit ist Geld!, hat sich der ideenreiche Gustavo Romano in Berlin gedacht, und will nun die U-Bahn-Fahrer in Buenos Aires in ähnlich skurrile Situationen bringen wie die Passanten in der deutschen Hauptstadt.


Scheine mit Zeit- statt Geldeinheiten bekamen die erstaunten Passanten in Neukölln am von Gustavo Romano konzipierten Stand angeboten.

„First View“ möchte mit seinen Projekten eben das erreichen: dass ein zufällig vorübergehender Mensch für einen Augenblick seine Umwelt auf andere Weise wahrnimmt. Liebe auf den ersten Blick? Auf jeden Fall.

Der Artikel erschien am 9.10.2004 im “Argentinischen Tageblatt”.

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