Ich sehe also bin ich

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Das Geheimnis im Werk von Gabriel Valansi

Von Susanne Franz

Werk von Gabriel ValansiAuf der Kunstmesse arteBA im vergangenen Mai 2004 sind die für den ersten Petrobras-Preis ausgewählten Kandidaten zu sehen. Der brasilianische Ölmulti ist jetzt Hauptsponsor der wichtigsten argentinischen Messe für zeitgenössische Kunst. Unter anderem hängt da an der Decke ein riesiges Mobilé aus sieben weißen Webcams an weißen, zu leichten Halbkreisen gebogenen Aluminiumstäben, das sich träge bewegt und dreht, wobei es die sich in der Umgebung abspielenden Ereignisse wie aus neugierigen Augen beobachtet. Die gefilmten Sequenzen werden von einem Videoprojektor abgespielt.

Wer betrachtet hier eigentlich wen?, steht als provozierende Frage im Raum, bzw. hängt von der Decke.

Die schöne Form des tanzenden, leisen Riesenspielzeugs verbirgt seine heimtückische Absicht und betont umso stärker die Aussage: Du wirst überwacht, wo Du gehst und stehst. Das elegante, hintergründige Kunstwerk macht darauf aufmerksam, wie sehr man sich bereits daran gewöhnt hat, überall gefilmt zu werden – in Kaufhäusern, Läden, auf der Straße – und wie klaglos man das hinnimmt.

Der Künstler heißt Gabriel Valansi, 1959 in Buenos Aires geboren. Es gelingt ihm nicht, die Jury für sich zu gewinnen, die den Hauptpreis an Sebastián Gordín vergibt.

Ich erinnere mich beim Betrachten des Mobilés daran, schon einmal fasziniert vor Werken Valansis gestanden zu haben, auf einer früheren arteBA-Messe, vor ein oder zwei Jahren, am Stand von Luisa Pedrouzo.

“Zeitgeist” hießen diese dunklen, verschwommenen Fotografien voll poetischer Dichte, es waren bedrückende und beeindruckende Kriegsszenen, in denen Lichter aufblitzten, wenn man langsam an ihnen vorbeiging. Man wurde hineingezogen in die Bilder, die für einen kurzen Moment schreckliches Schlachtfeldgeschehen lebendig erscheinen ließen.

Im Juli 2004 hat Valansi im Museum für Moderne Kunst eine Einzelausstellung, “Abstract”/”(1:72”). Werk von Gabriel ValansiHier kann man erneut ein Mobilé bewundern, und einen umfassenderen Einblick in seinen momentanen Schaffensprozess gewinnen. Nüchtern, kritisch und analytisch beschreibt er die Beziehung von (Überwachungs-)Gesellschaft und Individuum im 21. Jahrhundert, mit großem Scharfblick und unterschwelliger Trauer. Es ist schwer, aus dieser Bestandsaufnahme herauszuhören, was er sich wünscht. Vielleicht geht es gar nicht darum. Valansi konfrontiert den Betrachter schonungslos und provokativ mit der Bedrohung, der jeder Einzelne ausgesetzt ist – der Bedrohung seiner ganz individuellen Freiheit durch staatliche Kontrolle, wo er geht und steht und schaut.

Im selben Jahr, im August, fährt Valansi im Rahmen der Kulturwochen Berlin-Buenos Aires für einen Monat in die deutsche Hauptstadt. Mit zwei anderen argentinischen Künstlern ist er eingeladen, bei dem Projekt “First View” – Interventionen im öffentlichen Stadtraum der beiden Metropolen – mitzuwirken. Nach der Rückkehr zeigen die drei Argentinier und die drei deutschen Künstler in Buenos Aires ihre bei “First View Berlin” entstandenen Projekte, und bereiten Aktionen in Buenos Aires vor.

Es ergibt sich die Gelegenheit, mit Valansi über seine Erfahrungen in Deutschland zu sprechen, und in seinem Atelier Bilder früherer Ausstellungen und einige unveröffentlichte Projekte anzusehen.

Deutschland gegenüber hat er, als Jude, sehr gemischte Gefühle. Er verspürt keinen Hass. Aber er ist mit dem Trauma der sechs Millionen von den Nazis ermordeten Juden und Andersdenkenden aufgewachsen. Die Erinnerungen und der Schmerz von Verwandten und Freunden der Familie, die vor dem Zweiten Weltkrieg noch aus Deutschland fliehen konnten und nach Argentinien kamen, und die ihre Familien verloren hatten, haben seine Kindheit und sein ganzes Leben geprägt.

Seine Erfahrungen in Berlin beschreibt er als sehr positiv. Er bedauert lediglich, dass er einige seiner Vorstellungen nicht verwirklichen konnte, zum Beispiel, auf dem Platz der Bücherverbrennung der Nazis zu arbeiten oder an anderen Stätten des Gedenkens. Die Bezirke waren bei “First View” schon im Voraus festgelegt, und die Bewegungsfreiheit der Argentinier war etwas eingeschränkt. Er will das gerne nachholen, irgendwann.

Noch einmal “Zeitgeist”

Werk von Gabriel ValansiValansi erklärt, er habe für die “Zeitgeist”-Serie, die er im Jahr 2002 zum ersten Mal gezeigt hat, zwei Jahre lang dokumentarisches Filmmaterial aus dem Zweiten Weltkrieg angesehen. Nicht die allseits bekannten, emblematischen Bilder hätten ihn dabei interessiert, sondern die Sequenzen, die dazwischen liegen, die, die in allen Kriegsdokumentationen die gleichen sind. Er hat jene Momente “zwischen den Höhepunkten” von den Magnetbändern, auf denen die Dokumentarfilme gespeichert sind, abgenommen und sie aus dem Hintergrund in den Vordergrund geholt.

Diese undeutlichen Überleitungen von einem Bild zum nächsten wirken wie ein Raster – sie geben dem Sichtbaren einen Kontext, auf dem es möglich wird, etwas wie die “Energie des Krieges” begreifbar zu machen, etwas, das alle Kriege gemeinsam haben. Valansi sucht und findet dort, in den Zwischenräumen, womöglich das Gift, das aus Frieden Krieg macht und aus dem vielleicht eines Tages ein Gegengift entwickelt werden kann.

Es geht auch um die Erinnerung. “Ich wollte zeigen, wie die Bilder sich abnutzen”, sagt Valansi. “Von dem Moment ihrer Entstehung wurden sie hunderte Male gesehen. Sie werden immer undeutlicher und unwirklicher – wie die Erinnerung selbst.” Von dem Moment des Filmens bis zu dem Moment, in dem das Bild auf die Netzhaut trifft, gehe ständig etwas mehr verloren. Diesem Verlorengegangenen sucht er auf die Spur zu kommen.

In einige der “Zeitgeist”-Bilder hat Valansi optische Lamellen eingearbeitet, so dass kleine Lichtfelder aufblitzen, wenn man an ihnen vorübergeht und sie aus dem Augenwinkel betrachtet. Sie werden so zu dreidimensionalen, interaktiven Landschaften, die den Horror eines nie endenden Feuer- oder Bombenhagels suggerieren.

Die poetischen Landschaften Valansis appellieren an viel mehr als nur an das Auge. Man “sieht” Panzer, Gesichter, Gewehre, Ruinen. Aber man liest Trauer, Tod, Trauma, Mord, spürt Rauch und Blut, hört Schreie. Man erkennt seine eigene Gefühllosigkeit und Abgestumpftheit.

Mit den Bildern der “Zeitgeist”-Serie berührt Valansi tief verborgene Gefühle und Ängste, bringt sie in Schwingung, wenn sie uns unerwartet im Vorübergehen erschüttern.

Werk von Gabriel ValansiValansis Fotos sind Gedichte. So wie es gilt, aus dem unermesslichen Schatz der Sprache das eine richtige Wort herauszufinden, das treffende, aber zugleich universelle Wort, so bestimmt er das Motiv seiner Fotografie; so wie im Über- und Ineinandergreifen von Vokalen, Konsonanten, Worten und Sätzen eine Komposition aus Lauten und Klängen entsteht, die mit der Aussage übereinstimmt – wobei Form und Inhalt einander bedingen -, so verwendet er Papier, Belichtungszeit, Farben, optische Tricks, um das perfekte, dichte Gefüge zu schaffen, das die Essenz darstellt und doch Allgemeingültigkeit besitzt. Vielleicht erreichen seine Werke auch deshalb einen inneren Ort, wo Bilder eigentlich nicht hingelangen.

“Amateur”

Valansi zeigt mir die Serie “Amateur”, die im Jahr 2003 in der Galerie Luisa Pedrouzo ausgestellt war, und erklärt mir, wie er zu diesen Fotografien gekommen ist.

Beim Übergang zum neuen Jahrtausend gelangte er zu der Überzeugung, dass die Welt es heute mit einer neuen Art von Feind zu tun hat. “Das könnte potenziell jeder von uns sein. Jeder, der heute irgendwo auf der Welt mit einer dicken Jacke bekleidet in einen Bus einsteigt, könnte ein Selbstmordattentäter sein.”

“Als sich diese Idee in meinem Bewusstsein langsam entwickelte, stürzten die Zwillingstürme ein”, sagt Valansi. Er fragt sich: Wie haben sich die Selbstmordattentäter untereinander verständigt? Wie konnten sie in einem hochentwickelten Überwachungsstaat wie den USA so lange unentdeckt leben, bis sie ihren mörderischen Plan in die Tat umgesetzt hatten?

Valansi recherchiert, findet heraus, dass sich die Attentäter des 11. September 2001 anhand von Porno-Webseiten miteinander in Verbindung setzten, die verschlüsselte Nachrichten enthielten. “Welche Art von Pornografie hätte ich an ihrer Stelle verwendet, in dem Wissen, dass es darum ging, von einem intakten Zustand in einen der totalen Zerstörung überzugehen?”, fragt er sich.

Er untersucht verschiedene Formen der Pornografie und findet den Bereich “Amateure”. Das sind Videos von “Vorstellungsgesprächen” mit jungen Mädchen, die, angelockt von Anzeigen mit dem Versprechen einer Model-Laufbahn, von routinierten Männern überredet werden, in eine Pornokarriere einzusteigen. Valansi hat Fotos von den Videos gemacht, die die Mädchen “in dem Moment zeigen, in dem sie zerbrechen” – dem Übergang vom Zustand der Unschuld in einen anderen, aus dem es kein Zurück mehr gibt.

In die schrecklich-schönen Bilder voller Trauer hat er verschlüsselte Nachrichten “eingebaut”, kleine Codes am Rande, kaum sichtbar. Aber er verrät mir nicht, was sie bedeuten.

Der Künstler als Philosoph

Werk von Gabriel ValansiWenn man sich im Internet auf die Suche nach Gabriel Valansi begibt, erhält man nur spärliche Resultate. Eine eigene Webseite hat er nicht. Es wird Bezug genommen auf ihn als Lehrer, als Kurator, als Berater. Seine künstlerische Arbeit wird eher in einem Kontext erwähnt, beispielsweise wie argentinische Künstler die Krise verarbeiten, oder in Kommentaren über den Irak-Krieg.

Ein Schüler schreibt: “Er ist ein Lehrer, der uns die Augen wie kein anderer geöffnet hat.” Eine Schülerin schreibt in das virtuelle Gästebuch bei seiner Ausstellung “Abstract” im Mamba: “Du kannst wirklich reden.” Das kam einem damals komisch vor, wenn man ihm aber persönlich begegnet, weiß man sofort, was sie meint. Er hat eine Menge zu sagen, aber sagt kein Wort zu viel. Er ist intelligent, kultiviert, drückt sich sehr gut aus. Er hat eine klare, präzise Meinung zu einem breiten Themenfeld, verstrickt seine Gesprächspartner unausweichlich, berührt immer in der Tiefe, nie an der Oberfläche.

Er hält Ausschau, oder vielmehr Innenschau, nach allgemeingültigen Lebensstrukturen und hält auch angesichts des Leids nicht inne, im Gegenteil scheint er gerade dort auf ein Erleben zu stoßen, für das er eine Sprache sucht. Und findet – in der Kunst.

Schonungslos offen, streut er Salz in die Wunden und zwingt den Betrachter in manches erschreckende Spannungsfeld. Immer aber ist seine Kunst vom Prinzip der Hoffnung durchwirkt, die den Blick auf das Schöne neben dem Schrecklichen freigibt.

Der Artikel erschien am 30.4.2005 im “Argentinischen Tageblatt”.

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