„Viel zu sehen geben“

Dokumentarfilm-Retrospektive von Heinz Peter Schwerfel im August 2004 im Malba

Von Susanne Franz

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Werk von Jürgen Klauke.

Jürgen Klauke ist auch in die Jahre gekommen. Wenn der 60-jährige Kölner Künstler mit den kurzgeschnittenen weißen Haaren, dem obligatorischen Ohrring und der Sonnenbrille aber im Straßenkreuzer in unendliche Weiten hineinfährt und ganz cool eine Kassette einschiebt, spürt man, dass sich an seiner Wildheit und dem kompromisslosen Freiheitsdrang nichts geändert hat. So beginnt Heinz Peter Schwerfels Dokumentarfilm über Klauke, in dem dann abwechselnd Interview-Ausschnitte mit dem als Konzeptkünstler weltberühmt gewordenen einstigen Travestie-Star und eine Foto-Arbeit gezeigt werden, die Klauke leitet und bei der er eine entscheidende Rolle spielt – angeseilt im Designeranzug über einem nackten Model schwebend, das auf einer Bank liegt.

Der deutsche Regisseur und Kunstkritiker Heinz Peter Schwerfel führte persönlich in die Retrospektive seiner Dokumentarfilme über Künstler, Theatermacher und Philosophen ein, die das Malba im August 2004 unter dem Titel „El cine y las artes: una historia de amor“ (Das Kino und die Kunst: eine Liebesgeschichte) zeigte. „Sie müssen wissen, dass Jürgen Klauke ein Fotograf ist, der noch nie selbst ein Foto gemacht hat“, erklärt Schwerfel das eigenwillige Arbeitskonzept des Künstlers, dem er in den 70-er Jahren im Kölner Kneipenleben erstmals begegnet war.

Schwerfels Anekdoten über die Persönlichkeiten, die Gegenstand seiner Dokumentationen sind, sind so originell wie sein filmischer Stil. Plötzlich scheint der Zugang zu der französischen Künstlerin Annette Messager einfach, denn Schwerfel sagt: „Sie ist extrem schüchtern, und deshalb tritt sie in dem Film nie persönlich in Erscheinung, sondern nur als Stimme aus dem Off oder versteckt in ihren Installationen.“ Man sieht Bilder einer Installation Messagers in einem Terrarium und hört ihren Kindheitserinnerungen zu. Sie erzählt, sie sei an einem Ort in der Normandie aufgewachsen, dort, wo die Deutschen im 2. Weltkrieg die alliierte Landung vermutet hätten – aus diesem Grund stünden die vielen Bunker am Strand. Ein weiteres Merkmal seien die Sanatorien, deshalb sei ihre Familie auch dort hingezogen. „Wir sind mit Todkranken aufgewachsen“, sagt Messager im Plauderton, „das sind sehr lustige Menschen, denn sie wissen, dass sie nichts mehr zu verlieren haben.“ Die komplexen, sensiblen Installationen der Künstlerin, die die Kamera mittlerweile einfängt, öffnen sich beim Zuhören einem ganz anderen Verständnis.

Schwerfel arbeitet unmittelbar mit Bildern („Ich will ganz viel zu sehen geben, und nichts erklären“), mit Musik und den Aussagen der von ihm gewählten Protagonisten. Und er lässt dem Zuschauer viel Zeit, über die Bilder in die Welt des jeweiligen Künstlers einzutauchen. Schwerfels unverwechselbare Handschrift (obwohl die Filme alle unterschiedlich sind) garantiert neben dem filmischen Genuss auch ein bereicherndes kulturellen Erlebnis.

Der Artikel erschien im August 2004 im “Argentinischen Tageblatt”.

Hier finden Sie Infos zum Filmzyklus „El cine y las artes: una historia de amor. Documentales de Heinz Peter Schwerfel“ und zu Schwerfels „Manifest“.

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