Individuum und Gesellschaft in Argentinien (2001)

Marga Steinwasser stellt im Atelier “La Carbonería” ihre “lndividuos” aus

Von Susanne Franz

marga.jpgArgentinien liegt am Boden wie ein alter Bettvorleger, abgewetzt an manchen Stellen, an einigen schon leicht glänzend. Die argentinische Flagge, die Marga Steinwasser aus gestickten Stucken zusammengesetzt hat, erinnert auch an einen uralten Teddybär, dessen schäbiges Fell Zeugnis ablegt von unendlichen Kinderumarmungen. Totgeliebt. Auf der Fahne, Symbol für den Stolz der Argentinier auf ihr Land, liegt ein Mensch, eine aufgenähte Puppe. Auf ihrem Leib stehen all die Dinge geschrieben, die den Einzelnen – und die Gesellschaft – unmittelbar bedrohen: Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, Default, Korruption, Sparmaßnahmen, und vieles mehr.

Marga Steinwasser beschreibt die argentinische Realität – und wie wichtig es ist, sich trotz aller Probleme selbst treu zu bleiben. Drei übereinander gehängte Bilder zeigen oben zwei düstere Mafiosi – “¿Por dónde empezamos?” (Wo fangen wir an?), heißt das Werk; in der Mitte ist der einzelne Mensch abgebildet, dem zugerufen wird: “No te olvides de tus sueños” (Vergiss deine Traume nicht); unten ein Bettler im pessimistischen “Así quedamos” (Das ist aus uns geworden).

In ihrer Reihe der “Due Testi” (Zweiköpfe) weist Marga Steinwasser auf den “neuen Menschentyp”, das “neue Vorbild” hin – denjenigen, der sich wie das sprichwörtliche Fähnlein im Winde dreht: Auf einer Seite sagt er das eine, auf der anderen das Gegenteil. Es sind die Lügen der Politiker im Wahlkampf, oder das Verhalten vieler, die sich größtmögliche Vorteile verschaffen wollen. “Der ‘Due Testi’ weiß sogar nicht mehr, ob er Mann oder Frau ist, er ist im Grunde gar nichts, weil er nicht in der Lage ist, zu einer Sache zu stehen”, sagt Marga Steinwasser über ihre Kreation. Ein “Due Testi” steht als Papier-Skulptur mitten im Raum, umgeben von einem ihn fesselnden Kreidekreis: Auf der einen Seite ist er auf abgerissene Plakate gemalt, auf der anderen aus bräunlich-durchscheinendem Backpapier gestaltet.

Marga Steinwasser arbeitet mit Recycling-Materialien – sie reißt Plakat-Schichten ab, überklebt mit Plastikfolie, beschichtet mit Resina-Harz, reißt Blätter vom Zeichenblock einfach ab, verwendet Gebrauchtes, Abgenutztes. “Wenn man über unsere momentane Situation arbeiten will, muss man solche Materialien benutzen”, sagt sie. Auf den Plakaten kann man teilweise noch die Originalbotschaften lesen, darauf gemalt sind die “Individuen” Marga Steinwassers, oder auch Worte, Gedichte und andere Texte. “Das geschriebene Wort ist für mich von größter Bedeutung, sowohl als graphisches Element als auch als Botschaftsträger”, sagt Steinwasser. “Es kann als Zusatzinformation zum Bild gelesen werden, muss aber nicht.”

In einer weiteren Dreier-Bilderreihe prangert die Künstlerin die Missstände im argentinischen Erziehungswesen an, deren Opfer die Kinder und letzten Endes die gesamte Gesellschaft sind. Auch bei dem auf einem Tischchen montierten Brettspiel “Destino mio” (Mein Schicksal) steht dieses Thema im Vordergrund: Man bewegt seine Spielfigur auf roten Feldern vorwärts, gelbe Felder zwingen einen aus verschiedenen Gründen, zurückzugehen: “Lehrerstreik, gehe zwei Felder zurück”, oder “19, schwanger, zwei Felder zurück”, oder “Schnüffelt Klebstoff, muss zwei Felder zurückgehen”. Einige wenige blaue Felder bringen einen weiter: beispielsweise der Abschluss der Grundschule oder des Gymnasiums.

Ist der Tenor der in ihrer Ästhetik sehr ansprechenden und sparsam-wohldurchdachten Ausstellung auch kritisch bis pessimistisch, gibt es für die Individuen Marga Steinwassers doch Hoffhungsschimmer.

Dieser Artikel erschien am 1.12.2001 im “Argentinischen Tageblatt”.

Un comentario sobre “Individuum und Gesellschaft in Argentinien (2001)”

  1. claudia contreras dice:

    Susanne: me encanta el cambio y crecimiento de tu blog, te felicito de verdad!
    tiene mas onda, mejor diseño, color muy lindo
    y dá mas gusto leerlo, lo de marga no pude ponerlo en spanish, solo está en alemán o es mi torpeza? te envío un beso grande y la información general por mes está rebuena,
    la seguiré recomendando.
    Claudia C.


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