Würstchen und Klatschgeschichten

Jorge Labrañas Foto-Ausstellung “Triviale Bilder aus einer untergegangenen Republik: die DDR”

Von Boris Adamovich

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Gut getroffen: Eine Schießbude in Erfurt.

Es war im Sommer 1979, als der Fotoreporter Jorge Labraña einen unerwarteten Anruf bekam. Die argentinische Agentur „Dan“ fragte ihn, ob er Lust habe, in die DDR zu reisen. Es ginge darum, dort jene ostdeutschen Sportler abzulichten, die im darauffolgenden Jahr bei den Olympischen Spielen in Moskau antreten sollten. Labraña, der noch nie in Europa gewesen war, sagte begeistert zu. Schon bald darauf reiste er auf Einladung der staatlichen DDR-Agentur „ADN“ mehrere Wochen lang kreuz und quer durch das Land.

Der leidenschaftliche Fotograf knipste während seiner Reise natürlich nicht nur Olympioniken. Bei seinen ausgiebigen Spaziergängen durch Weimar und Dresden, durch Erfurt und Leipzig, Rostock und Berlin, richtete er sein Objektiv auf alles, was ihm interessant erschien. Zumeist sind es Menschen in alltäglichen Straßenszenen: spielende Kinder und Frauen beim Einkaufen, Stadtbummler, Straßenverkäufer und Musiker. “Ich hatte nie das Gefühl, unter besonderer Aufsicht zu stehen”, sagt Labraña. Lediglich im Hafen und an den Grenzen wurde ihm untersagt, zu fotografieren. Dies fand er jedoch nicht weiter erstaunlich, nichts anderes war er nämlich aus Argentinien gewohnt.

Auch sonst erkennt man in seinen Motiven häufig Parallelen zu seinem Heimatland, wie es auch seine Bildkommentare verraten: Das würstchenessende Pärchen könnte ebenso gut durch Buenos Aires flanieren, auch wenn es hier ein “Choripan” wäre. Und das Großmütterchen in der Telefonzelle hat sicherlich ganz ähnliche Klatschgeschichten zu erzählen, wie ihr argentinisches Pendant. Ganz in diesem Sinne scheinen die meisten Aufnahmen von der Suche nach dem Bekannten, dem Synonymen zu erzählen – so als wollten sie sagen: “Die Menschen dort am anderen Ende des Globus leben ganz ähnlich wie wir.”

So manch ein Fotograf aus dem ehemaligen Westdeutschland hätte vermutlich andere Aufnahmen gemacht, etwa von finster dreinblickenden Polizisten, mausgrauer Einheitsware in den Schaufenstern oder klapprigen Trabi-Kolonnen. Er hätte wohl versucht, den Kontrast zu seiner Heimat aufzuzeigen und in irgendeiner Weise die politischen und wirtschaftlichen Missstände einzufangen. Erwartet man derartige Zeitzeugnisse, so mögen einem die Bilder Labrañas tatsächlich “trivial” erscheinen.

Labraña betrachtet seine Umgebung jedoch mit anderen Augen – schließlich kam er ja auch aus einem Land, welches in vielen Aspekten einen niedrigeren Lebensstandard hatte, und in dem auch diktatorische Regimes nichts Fremdes waren. Betrachtet man somit die gut drei Dutzend Schwarzweiß-Fotos als einfache Momentaufnahmen aus dem ostdeutschen Alltag, so atmen die Szenen durchaus die Lebensatmosphäre dieser Epoche – gerade aufgrund ihrer “Trivialität”.

Foto Club Buenos Aires, „José M. Porcallas“-Saal, San José 181. Montag bis Freitag 14-22 Uhr, Samstag 9-17 Uhr. Eintritt frei. Bis 7. April.

Der Artikel erschien am 18.3.06 im “Argentinischen Tageblatt”.

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