Abheben garantiert

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Zeichnungen und Objekte von José Luis Anzizar bei Elsi del Río

Von Susanne Franz

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“Take-off”, 2005, Zeichnung auf Papier, 1,40 x 1,40 m.

Seit seinem sechsten Lebensjahr hat der Künstler José Luis Anzizar (geb. 1962) mehr als 625 Flugreisen unternommen – geschäftlich, privat, oder zu Forschungszwecken. Seine Ausstellung “Embarque inmediato” (Der Abflug steht unmittelbar bevor), die er noch bis zum 10. Juni in der Galerie Elsi del Río in Palermo Hollywood zeigt, ist eine Hommage an das Flugzeug, seinen Begleiter – oder vielmehr sein Transportmittel – auf so vielen Reisen.

Unterwegs-Sein ist nicht zum Lebensinhalt des Künstlers geworden, wohl aber seine bevorzugte Lebensform. In seinen wagemutigen, schwerelosen Zeichnungen dominieren Neugier, Offenheit, Abenteuerlust, Risikobereitschaft und das Sich-Einlassen auf das Ungewisse. Zugleich kommt ein Bewusstsein der eigenen Zerbrechlichkeit zum Ausdruck – in der Skizzenhaftigkeit seiner großzügigen Entwürfe, den Nahtstellen überall, den surrealistischen Elementen wie Spielzeugflugzeugen oder angedockten Ballettschuhen, den Bruchstellen in den Diptycha, etc. Anzizars Flughäfen wirken wie Körperorgane (ein Herz, eine Ansammlung von Zellen), denn “man passt besser auf sich auf, wenn man unterwegs ist”, sagt der Künstler.

Anzizars Werke sind so schwindelerregend wie die Momente, in denen man im Flugzeug sitzt und plötzlich das Gefühl hat, dass man stillsteht, obwohl man doch weiß, dass diese fliegende Blechbüchse mit 1000 Stundenkilometern dahindonnert. Zeit und Raum zwischen Abflugs- und Zielort sind Niemandsstunden und Niemandsland. So richtig wohl fühlt sich da keiner. Man ist mit den Gedanken “noch da” oder “schon dort” und akzeptiert den “Schwebezustand” des Körpers nur halbherzig.

Die Reise als “über-natürlicher” Moment der Auflösung, des Nicht-Richtig-Da-Seins, in dem dennoch alle Sinne besonders geschärft sind. Man überbrückt ihn mit menschlichen Mitteln, zeigt Anzizar in seinen Objekten – den liebevoll zusammengenähten Lan-Chile-Servietten oder den aneinandergenähten, aus Stadtplänen bestehenden Papiertüten, auf denen sorgsam die Flugnummer geschrieben steht – und was es auf dem Flug zu essen gab.

Man kann die Zeit verschwenden oder nutzen: Anzizar füllte auf seinen Flügen ganze Kladden mit Zeichnungen. Auch davon sind einige in der Ausstellung zu sehen.

Abheben ist garantiert in Anzizars humorvoller und tiefsinniger Exposition. Man sollte sie sich keinesfalls entgehen lassen. Auch wenn das Reisefieber womöglich ansteckend ist … denn die nächste Reise steht immer unmittelbar bevor!

José Luis Anzizar, „Embarque inmediato”, Zeichnungen und Objekte aus Papier. Elsi del Río Arte Contemporáneo, Arévalo 1748, Palermo Hollywood. Di-Fr 15-20, Sa 11-14 Uhr. Bis 10.6.

Dieser Artikel erschien am 27.05.06 im “Argentinischen Tageblatt”.

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