Ess-Störungen in einer gestörten Welt (2003)
Installation von Robin Lasser und Kathryn Sylva (USA) im Centro Cultural Recoleta
Von Susanne Franz
Essen bedeutet Überleben, kann Gesundheit bis ins Alter gewährleisten, Wohlbefinden, Ausgeglichenheit und Lustgefühl vermitteln. Wer aufhört zu essen, zerstört sich selbst. Hungerstreiks als politisches Druckmittel kommen immer wieder vor, aber viel häufiger sind Lebensstreiks junger Menschen, die kein “normales” Bild mehr von ihrem eigenen Körper haben. Dürr und ausgemergelt, stehen sie vor dem Spiegel und finden sich dick und hässlich. Sie verabscheuen sich und verneinen die natürlichen Funktionen ihres Körpers.
Wen wollen sie unter Druck setzen? An wen richten sich ihre Hilfeschreie? Die Konsumgesellschaft, die am Schönheitswahn viel zu gut verdient, hört jedenfalls nicht hin. Politiker greifen nicht ein. Angehörige sind oft diejenigen, die am wenigsten helfen können. Und psychologische Hilfe kommt oft zu spät. 20 % der Magersüchtigen sterben.
Im Rahmen der Mega-Ausstellung “Arte al plato!” im Centro Cultural Recoleta, die unter verschiedensten Aspekten das Essen in der Kunst betrachtet, stellen die beiden US-Künstlerinnen Robin Lasser und Kathryn Sylva mit ihrer Installation “Ess-Störungen in einer gestörten Welt” die Probleme bulimischer und anorexischer (nicht nur) jugendlicher Menschen in den Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeit. Beide Künstlerinnen lehren an Universitäten in den USA und sind mit dem Problem der Ess-Störungen täglich durch ihre Studenten konfrontiert. Robin Lasser war als Jugendliche selbst magersüchtig. Sie weiß, wovon sie spricht.
Seit sieben Jahren arbeiten die beiden Amerikanerinnen an dem Projekt, das sie jetzt erstmals in Südamerika vorstellen.
Die Künstlerinnen wollen mit ihrer Arbeit erreichen, dass die Gesellschaft stärker auf die Gefahren von Magersucht und Bulimie aufmerksam wird und eine Diskussion über das Tabuthema entsteht. Das gelingt ihnen, indem sie – mit großer ästhetischer Perfektion – jene Mittel der Massenkommunikation anwenden, die die tödliche Kehrseite des Konsums sonst verschweigen und vorspiegeln, dass beispielsweise ein schlanker, durchtrainierter Körper, bestimmte Kleidungsmarken, Kosmetikprodukte und andere Konsumgüter Glück und Zufriedenheit garantieren.
So entwerfen sie etwa ein (Werbe-)Poster, das sagt: “Manche Männer hungern sich nicht nur schlank – sie hungern sich tot”, oder versehen anonyme Fotos von essenden Personen mit einer Unterzeile, die den Grund für ihre jeweilige Ess-Störung nennt, wie etwa: “Ich esse, damit mein Magen wehtut, und nicht mein Herz”. In einem Video thematisiert Robin Lasser das Essen und dessen Verweigerung in einer Wegwerfgesellschaft. Auf einer CD-Aufnahme kann man Aussagen Betroffener anhören. Ein Teil der Installation erinnert an diejenigen, die an Magersucht gestorben sind: Als erste nennen Sylva und Lasser Katharina von Siena, die sich im Jahre 1380 zu Tode gehungert hat.
Dieser Artikel erschien am 09.08.2003 im “Argentinischen Tageblatt”.