Schweizer Präsenz auf Porteño-Bühnen (2003)
“Top Dogs” von Urs Widmer und “Sentáte!” von Stefan Kaegi
Von Susanne Franz
|
Der “Complejo Teatral de Buenos Aires” hat das Theaterjahr 2003 mit zwei Werken von Schweizer Theatermännern begonnen: Im Cunill Cabanellas-Saal des San Martín-Theaters läuft “Top Dogs” des Dramaturgen Urs Widmer (1938); im Teatro Sarmiento das vom Mittzwanziger Stefan Kaegi entwickelte und vor Ort inszenierte Ready Made “Sentáte!” (“Sitz!”). Beide Stücke wurden in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut auf die Bühne gebracht.
“Top Dogs”, von der Programmchefin des Goethe-Instituts Silvia Fehrmann hervorragend ins Spanische übertragen, ist ein bitter sarkastisches und kühl durchdachtes, perfekt konstruiertes Widmer-Werk, das der junge Regisseur Cristian Drut diszipliniert und intelligent inszeniert hat und das durch hervorragende Schauspielleistungen, ein futuristisches Bühnenbild sowie exzellente Licht- und Spoundeffekte getragen wird – ein perfekter Theatergenuss.
Die Akteure, die in der Fiktion die eigenen Namen tragen, verlassen nie die Welt, in der sie sich innerhalb des Stücks bewegen, und alle Komponenten werden eingesetzt, um die Künstlichkeit dieser Welt zu betonen und ihre Fragilität für den Zuschauer gerade noch durchscheinen zu lassen. Es geht um Top Manager, die von ihrer Firma entlassen wurden und nun im Rahmen einer Art Psychodrama-Session, in der das angeschlagene Ego wieder aufgebaut werden soll, in einer “Outplacement”-Firma darauf vorbereitet werden, einen neuen Job anzutreten. Keinen sympathischen Zeitgenossen begegnet man hier, sie sind abstoßend, mitleiderregend und hoffnungslos ichbezogen. Bis in jede Einzelheit werden die verletzten Seelen offengelegt, das Ausmaß ihrer Arroganz verschafft dem Zuschauer die nötige Distanz, um sich am bissigen Humor Widmers dennoch zu erfreuen.
“Sentáte!” ist ein Theatererlebnis der ganz anderen Art. Nach 1 1/2 Stunden und mehr als 20 Szenen, in denen man sich totgelacht oder gelangweilt hat, von der Poesie der Situation überwältigt war, belustigt oder befremdet, gerührt oder gar peinlich berührt war, geht man mit einem Mix aus Emotionen nach Hause, der diesen Theaterabend mit keinem anderen vergleichbar macht. Noch Tage danach erzählt man Freunden von den Schauspielern in den Tierkostümen, die wie riesige King Kong-Monster über die Bühne torkeln und Topfpflanzen ausreißen, den Namen der zahlreichen, die Bühne bevölkernden Kaninchen (Che Guevara, Borges, Duhalde…), dem Rennen zwischen Schildkröte, Iguana und einem der hoppelnden Artgenossen, dem Affentanz ums Feuer oder den Schildkröten, die den Traum ihres Herrchens erfüllen und einmal als Piloten durch die Luft fliegen oder die sich, in einer anderen Szene, als Romeo und Julia ihre Liebe gestehen.
Stefan Kaegi hat sich bei der Entwicklung des Stücks, das innerhalb des von Vivi Tellas geleiteten “Biodrama”-Zyklus aufgeführt wird, in dem erforscht werden soll, inwieweit das Dokumentarische im Theater funktioniert, von der Umgebung des Theaters, dem Zoo, leiten lassen. Seine drei Akteure, alle Laienschauspieler, wurden nach ihrer Beziehung zu ihren Haustieren ausgewählt. Die verschiedenen Szenen beschäftigen sich mit der Hierarchie Herrchen-Haustier, mit dem Thema Ersatz und vielen anderen Gedanken, von höchst philosophischen bis hin zu äußerst profanen.
Die auf der Bühne anwesenden Tiere machen den Theaterabend und den Ablauf des Stücks zudem uneinschätzbar, so dass man unmöglich voraussehen kann, wie sich ein Abend entwickelt – und wie sich das Werk im Lauf der Zeit verändern wird. Egal wie, es handelt sich um ein verrücktes, mutiges und einzigartiges Experiment, ein Risiko, das der Regisseur bewusst eingeht, und auf das sich auch der Zuschauer einlassen muss.
Dieser Artikel erschien am 19.04.2003 im “Argentinischen Tageblatt”.