Sicht-Weisen

Zeitgenössische Foto-Kunst aus Deutschland im Rahmen des “Festival de la Luz”

Von Julia Roth

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Anna und Bernhard Blume,
„Im Wald“ (Detail).

Vor signalrotem Hintergrund verschwindet ein menschlicher Körperteil in einer Hautöffnung. Sogleich drängen sich pornographische Assoziationen auf. Man ist im Begriff, zu erröten, und geneigt, sich verschämt den Blick senkend abzuwenden. Doch halt! Ist das doch kein männlicher Phallus? Sondern vielleicht – der Rumpf eines Armes? Bei genauerem Hinsehen sieht man am rechten Rande feine blonde Härchen glänzen… Doch wo, bitte, soll am menschlichen Körper eine derartige Hautfalte sein wie die, in der der vermeintliche Arm auf diesem Foto verschwindet? Die Fotoarbeiten von Thomas Florschuetz geben keine Antworten. Der in Zwickau geborene und in Berlin lebende Künstler stellt in seinen Selbstporträts und Körperbildern Körperteile, Gesicht und Glieder in immer neue, befremdliche Zusammenhänge. Die Betrachter bleiben auf ihre individuellen Assoziationen angewiesen und werden so zum aktiven Teil der Kunstwerke.

Auf ganz andere Weise macht sich die Kölner Künstlerin Astrid Klein die Möglichkeiten der Fotografie zunutze. Doch setzt auch sie auf die ästhetische Erfahrung der Betrachter. Sie reproduziert Bilder aus den Massenmedien, um aktuelle politische Erfahrungen darzustellen. Die großformatige Fotoarbeit „Denkgrenzen“ (1984) zeigt die grobkörnig projizierten Schatten zweier miteinander kämpfender Menschen vor anonymer Architektur. Durch Positiv-Negativ-Umkehrung provoziert das Bild Assoziationen einer bedrohlichen Großstadtstimmung: anonyme Massensiedlungen, Raubüberfälle und Überwachungsstaat.

Die beiden Fotokünstler stehen beispielhaft für die Vielfalt zeitgenössischer Fotokunst aus Deutschland, die im Mittelpunkt der Ausstellung “FotoKunst – FotoArte” des Instituts für Auslandsbeziehungen (Deutschland) stehen, die das Goethe-Institut Buenos Aires im Rahmen des “Festival de la Luz” im Centro Cultural Recoleta präsentiert. Zu sehen sind neben Thomas Florschuetz und Astrid Klein Werke von Dieter Appelt, Anna und Bernhard Blume, Jürgen Klauke, Sigmar Polke, Klaus Rinke und Katharina Sieverding. Die Künstlerinnen und Künstler stammen aus verschiedenen Regionen Deutschlands und gehören unterschiedlichen Generationen an. Sie bedienen sich vielfältiger Formate und Techniken. Einige von ihnen bearbeiten das Bild komplex im Fotoprozess, andere kommen aus der Performance.

Der Rheinländer Sigmar Polke nutzt und kombiniert seit Beginn seiner Laufbahn verschiedene Medien: Malerei, Zeichnung und Graphik, Fotografie und Film. So schafft der Mitbegründer des in den 1960er Jahren einflussreichen „Kapitalistischen Realismus“ eine experimentelle und phantasievolle Verbindung surrealistischer, dadaistischer und pop-kultureller Elemente. Die Fotoarbeit „Schränke“ beleuchtet eine aus Latten und anderen banalen Materialien zusammengesetzte Zufallsskulptur aus unterschiedlichen photographischen Perspektiven.

Die in Prag geborene ehemalige Beuys-Meisterschülerin Katharina Sieverding behandelt häufig Themen wie Sexismus und Rassismus. Wie Astrid Klein eignet sie sich Elemente der Werbung an, um zu Menschlichkeit und Solidarität aufzurufen. Ihr Selbstporträt „Deutschland wird deutscher“ (1992) löste heftige Kontroversen aus.

Anna und Bernhard Blume spielen mit Arbeiten wie „Im Wald“ ironisch auf „typisch deutsche“ Befindlichkeiten wie die übertriebene Romantisierung des Waldes an. Eine frühe Foto-Textcollage des Hamburger Künstlerpaars, „Magischer Realismus“, nimmt den europäischen Anspruch der Fotografie auf die Schippe, Realität objektiv-dokumentarisch abbilden zu können. Denn wie schon die eingangs beschriebenen Körperbilder von Thomas Florschuetz verdeutlichten, liegt die Wahrheit schließlich immer auch im Auge des Betrachters.

(“FotoKunst – FotoArte”. 3.8.-27.8. im Centro Cultural Recoleta, Junín 1930.)

Dieser Artikel erschien am 29.7.06 im “Argentinischen Tageblatt”.

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