Metaphysisch-bizarre Räume
Jorge Álvaro stellt in der Galerie Holz aus
Von Susanne Franz
“Ventrílocuo”, Kohle und Aquarell, 79 x 109.5 cm, 2006.
Ein Mann sitzt auf dem Sofa und himmelt eine neben ihm sitzende, überdimensonale Puppe an, die mit leblosen Augen nach vorne starrt. Ein Mann und eine Frau stehen neben einem leeren Bett, sie sehen sich nicht an; in der Bildmitte wächst ein Kopf aus einer Blumenvase. Eine Christusfigur liegt schlafend auf einem felsigen Untergrund.
Die Zeichnungen und Gemälde, die der großartige argentinische Künstler Jorge Álvaro in der Galerie Holz zeigt, sind in zwei Themengebiete aufgeteilt: “Interiores” (Innenräume) und “Exteriores” (Außenansichten). Die Innenräume sind Schwarz-Weiß-Ansichten von Zimmern oder Büros. Ohne Türen oder Fenster, die nach draußen führen, stellen sie klaustrophobische “Höhlen” dar für die puppenhaften, „menschenfarbenen“ Personen, die sie bevölkern: wie z.B. die nackte, dicke Frau mit Schmetterlingsflügeln auf dem Rücken, die in einem nüchternen Büroraum auf dem Sofa liegt und schläft.
Auch in die Natur-Landschaften – zumeist wilde, zerklüftete Felsen, Seen oder Küsten – passen die Menschen nicht hinein, die Álvaro in sie stellt: der Zauberlehrling, der eine Frau zum Schweben bringt; die Geschäftsleute, die das Terrain für ihren neuen Hotelbau sondieren; der Mann, der, bis zu den Knien im Wasser, mit gesenktem Kopf vor einem Meteoriten steht.
“Gran emprendimiento II”, Acryl auf Leinwand, 50 x 40 cm, 2006.
Álvaros “Exteriores” wie seine “Interiores” sind innere Landschaften, in denen der Mensch als Protagonist gefangen ist. Kaum in der Lage, sich von ihnen abzugrenzen – geschweige denn auszubrechen, versucht er, die Form der jeweiligen Umgebung anzunehmen, oder verfällt in eine Art stummer, resignierter Starre ihr gegenüber.
Jorge Álvaro (geboren 1949 in Buenos Aires) ist einer der ganz großen Zeichner Argentiniens, wahrscheinlich der beste. Auch seinen stilsicheren Aquarellen und den Acrylmalereien liegt immer die gezeichnete Linie als Ausgangspunkt zugrunde. Die neuesten Werke von 2005 und 2006 dieses herausragenden Meisters evozieren den Romantizismus und Mystizismus Caspar David Friedrichs und erinnern doch auch an die alptraumhaft-bizarren Illustrationen des “Struwwelpeter”. Sie besitzen die übernatürliche Klarheit eines Fiebertraums.
Die sehr empfehlenswerte Ausstellung ist nur noch bis zum 15. August montags bis freitags 10-20 Uhr (samstags 10-14 Uhr) in der Galerie Holz, Arroyo 862, zu sehen. Informationen auf der Webseite der Galerie.
Dieser Artikel erschien am 12.08.06 im “Argentinischen Tageblatt”.