Blicke für die Wirklichkeit
Tomasz Gudzowaty und Evgen Bavcar in der FotoGalería des San Martín-Theaters
Von Susen Hermann
Die Werke des polnischen Fotografen Tomasz Gudzowaty zeigen ein hohes Maß an Feinfühligkeit.
Auf den ersten Blick sind es Bilder der Folter. Drei kahlrasierte Männer lehnen an einer Mauer – verkehrt herum. Nur ihre Köpfe berühren den Boden und stützen den gesamten Körper. Ihre Arme sind eng an den Oberkörper gepresst, ihre Beine lehnen himmelwärts an der Wand. Das nächste Foto zeigt einen ebenfalls glattrasierten Mann, der seinen Körper auf fünf Pfeilspitzen bettet. Die Enden bohren sich leicht ins Fleisch seiner Beine und Brust.
Die Schwarzweißbilder sind Teil einer Fotoserie von Tomasz Gudzowaty und zeigen nicht etwa die Misshandlung von Menschen – wie es im ersten Moment scheint -, sondern die Riten und Gebräuche buddhistischer Mönche. Bei längerer Betrachtung erst entdeckt man die konzentrierten Gesichter der Männer, die im Laufe ihrer Meditation zu solch spektakulären körperlichen Übungen fähig sind.
Das Theater San Martín stellt im Rahmen des diesjährigen “Festival de la Luz” (Festival des Lichts) zwei der bekanntesten Arbeiten des polnischen Fotografen aus. Neben “Templo Shaolin”, der Fotoserie, die Gudzowaty 2002 in China geschossen hat, ist eine Serie über Hafenarbeiter in Shittagong zu sehen.
“Shipwreckers” ist die traurige Dokumentation über die harte und unmenschliche Arbeit, der die Arbeiter in der zweitwichtigsten Importstadt in Bangladesch ausgesetzt sind. Die Gesichter der Männer sind gezeichnet von der täglichen, harten Arbeit. Neben den riesigen Schiffskörpern wirken sie wie Ameisen, die versuchen, auf dem schlammigen, öligen Boden ihrer Arbeit nachzugehen.
Beide Ausstellungsarbeiten des 35-jährigen Sportjournalisten zeigen ein hohes Maß an Feinfühligkeit. Die Aufnahmen sind nicht inszeniert und dennoch so gestochen scharf und so ausgeglichen in ihrer Komposition, dass dies vielleicht der Grund ist, warum seine Bilder so lebendig und erzählend wirken.
Im Kontrast zu den scharfen, dokumentarischen Fotos des Polen steht die zweite Ausstellung des Künstlers Evgen Bavcar. Die Bilder des Slowenen sind nicht nur einfach Fotografie. Sie sind zugleich Beweis für die Stärke des Künstlers. Denn Bavcar ist blind – das hält ihn jedoch nicht davon ab, zu fotografieren. Dieses Jahr sind die Fotos des Slowenen erstmals in Argentinien zu sehen.
Der blinde Fotograf Evgen Bavcar liebt das Spiel mit dem Licht.
Seine Bilderreihe “El deseo de la imagen” (Die Sehnsucht des Bildes) trägt vor allem das in sich, was dem Künstler mit 12 Jahren verlorenging – das Licht. Bavcar spielt mit dürftigen Beleuchtungen, Langzeitbelichtungen oder Bildüberlagerungen. Dass dieser Mann blind ist, ist seinen Schwarzweißarbeiten nicht anzumerken. Die langen Belichtungszeiten führen manchmal zu unscharfen oder verwackelten Bildern und die Überlagerungen von verschiedenen Fotos zu verwirrenden und dunklen Fotografien. Ein wenig kommt beim Betrachten von Bavcars Bildern das Gefühl auf: So könnten die Bilder aussehen, in einem Moment, in dem man selbst das Augenlicht verliert.
Die Bilder von Evgen Bavcar sind noch bis zum 3. September; die des polnischen Fotografen Tomasz Gudzowaty bis zum 1. Oktober zu sehen. Beide Ausstellungen sind jeweils ab 11 Uhr (samstags und sonntags ab 12 Uhr) bis Vorstellungsende geöffnet. Das Theater San Martín befindet sich in der Avenida Corrientes 1530. Der Eintritt ist frei.
Dieser Artikel erschien am 26.08.06 im “Argentinischen Tageblatt”.