Okwui Enwezor kam, sah und schwieg (2002)

Dokumenta-Chef in Buenos Aires

Von Susanne Franz

OKWUI1.jpgMit der großzügigen Hilfe der deutschen Botschaft kam vergangene Woche der Leiter der vor kurzem zu Ende gegangenen dokumenta 11, der in den USA ansässige Nigerianer Okwui Enwezor, nach Buenos Aires, um an einem Seminar teilzunehmen und mit Argentinien und seiner Kunstszene erste Kontakte anzuknüpfen.

Die Idee, hochkarätige ausländische Kuratoren nach Buenos Aires einzuladen, stammt von Teresa de Anchorena, der Leiterin der Kulturabteilung des argentinischen Außenministeriums, der „Dirección Nacional de Política Cultural y Cooperación Internacional”. Die Kultur sei die Hoffnung in der Krise, in der Argentinien sich befinde, sagte Anchorena in ihren Begrüßungsworten und verdeutlichte ihre Motivation: „Unsere Institution möchte der Welt diesen Reichtum zeigen.”

Das dreitägige Seminar in der Nationalbibliothek, an dem auch Iwona Blazwick, die Leiterin des renommierten Londoner Kulturzentrums Whitechapel, und der in den USA lebende unabhängige Kurator, der Argentinier Carlos Basualdo, teilnahmen, soll das erste in einer Reihe sein, die voraussichtlich im März fortgesetzt wird, möglicherweise mit dem Leiter der Biennale von Venedig und einem der wichtigsten Kuratoren dieses bedeutenden internationalen Kunstereignisses.

Carlos Basualdo übernahm die Regie und erläuterte das Thema der jeweils drei Stunden dauernden Seminartage, „Hacia otra geografía de la cultura” (etwa: „Zubewegen auf eine neue Geographie der Kultur”). Er hatte Enwezor und Blazwick gebeten, ihre Gedanken schriftlich niederzulegen, da ihre Beiträge zu dem Seminar später in Buchform erscheinen sollen.

Okwui Enwezors äußerst komplexer, vielschichtiger Beitrag beschäftigte sich mit der neuen Rolle des Kurators – desjenigen, der die Inhalte einer Ausstellung oder einer Biennale oder von Sammlungen in Museen etc. bestimmt – in der globalisierten Welt. Um zu diesem Thema zu gelangen, nahm Enwezor zunächst eine ausführliche Standortbestimmung der zeitgenössischen Kunst in der post-kolonialen Welt vor. Er beleuchtete außerdem die zur Zeit herrschenden Bedingungen, unter denen Kunst entsteht (und konsumiert wird) und betonte, dass es für ein Verständnis der Machtverteilung und Prozesse in der zeitgenössischen Kunst nötig sei, sie in den Kontext eines geopolitischen Rasters zu stellen, immer in einer Spannung zwischen Lokalem und Globalem, Zentrum und Rand, Nation/Staat und Individuum, übernationalen Gemeinschaften und Diaspora.

Der Kurator habe sich, so Enwezor, zu einem kulturellen Protagonisten entwickelt, der unermüdlich daran arbeite, die soziale Funktion der Kunst im demokratischen und öffentlichen Raum zu bestimmen, was zu neuen Paradigmen für Ausstellungen geführt habe, die neuartige Formen des Wissens über Kunst, Künstler und ihre Geschichte erzeugen wollten. Diese Arbeit werde jedoch auch vehement kritisiert, sowohl von denjenigen, die Kunst und Kunstveranstaltungen hauptsächlich als Entertainment betrachteten, als auch von den Nostalgikern, die die Kunst aus ihrem sozialen Kontext herauslösen wollten.

Enwezor nahm auch eine Standortbestimmung des Kurators in Basualdos „neuer Geographie der Kultur” vor, die er als im Entstehen begriffene Netzwerke von Wissen und Aktivitäten, die an den Schnittstellen von Disziplinen und Publikum entstehen, versteht – mehr als mobile Diskussionsforen denn neue Territorien. Wie agiert ein Kurator in einem Prozess der ständigen Veränderung, in dem sich die moderne Kunst heute befindet? Wie kann er gleichzeitig innerhalb eines Kanons und gegen ihn handeln, wenn er neue Tendenzen aufspüren will, die sich erst allmählich in der Kultur niederschlagen, ehe sie institutionalisiert werden?

Enwezor erklärte, er habe keine Antwort auf diese Fragen, aber eine Vorstellung davon, wie er sie angehen könne. Und dann kam er doch noch auf die dokumenta 11 zu sprechen, die in gewisser Weise eine Reaktion auf die „Krise des Zeitgenössischen” gewesen sei. Die dokumenta 11 habe sich als extraterritorial verstanden, außerhalb der üblichen Ausstellungs- und Museologiesysteme. Das Modell habe jedoch keinen komplett herausgebildeten öffentlichen Raum beansprucht, sondern es habe sich – durch die verschiedenen Plattformen des Projekts – die Möglichkeit ergeben, die Rezeption von Ideen und Disziplinen auf Prozesse und Netzwerke zu lenken. Über den reinen Ausstellungsraum hinaus sollte so Diskussion und Austausch ermöglicht werden.

Enwezor betonte, dass mit der dokumenta 11 eine neue Ära in der Geschichte der renommierten Kasseler Ausstellung eingesetzt habe. In der Diskussion, die seinem einstündigen Vortrag folgte, wurde aber auch Kritik am Konzept der von Enwezor geleiteten dokumenta laut.

Im Rahmen seines sechstägigen Aufenthalts in Argentinien hat Okwui Enwezor Museen und Privatsammlungen besucht, um sich ein Bild von der argentinischen Kunst zu machen, wobei ihn, wie aus seinem Umkreis zu erfahren war, das Konzept der II. Internationalen Biennale im Museo Nacional de Bellas Artes nicht überzeugt habe. Ansonsten war der 39-jährige Schriftsteller, Poet, Herausgeber einer Zeitschrift über zeitgenössische afrikanische Kunst, Kurator und renommierte Kritiker mit seiner Meinung eher zurückhaltend.

Dieser Artikel erschien am 30.11.2002 im “Argentinischen Tageblatt”.

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