„Immer nur ein Spiel” (2000)

Lóránd Hegyi kommentiert den österreichischen Beitrag zur Biennale von Buenos Aires

Von Susanne Franz

lorand.jpgDr. Lóránd Hegyi, gebürtiger Ungar, ist der Direktor des Museums Ludwig in Wien. Er hat den österreichischen Beitrag zur Ersten Internationalen Biennale von Buenos Aires zusammengestellt – Werke von Franz West, Lois Weinberger und Hermann Nitsch – und hat im Rahmen der Kritikertage, die zu Beginn der Biennale Anfang Dezember stattfanden, den hochinteressanten Vortrag „Art in the Former Peripheries” (Kunst in den ehemaligen Peripherien, womit hauptsächlich die damaligen Ostblockstaaten gemeint sind) gehalten. Im Anschluss unterhielt er sich mit dem Argentinischen Tageblatt.

AT: Herr Hegyi, Sie haben einmal Franz West als den bedeutendsten zeitgenössischen Künstler Österreichs bezeichnet.

Hegyi: Bedeutendster Künstler habe ich wohl nicht gesagt – er ist aber sicher einer der paradigmatischsten. Er verbindet so viele Momente der mitteleuropäischen und österreichischen Kunst miteinander. Er ist ein wahrhaft suggestiver Künstler, und er hat eine ungeheure Sensualität, die er aber auch ironisch relativiert. Er arbeitet sozusagen „in Klammern”, er sagt: ,So könnte es sein’, aber es ist immer nur ein Spiel. Das ist so typisch für die mitteleuropäische Mentalität.

Da ist aber auch sein Reichtum an literarischen und persönlichen Referenzen; aus seinen Werken schaut immer etwas selbst Erlebtes, sehr Persönliches heraus. Er gibt einen Kommentar ab, greift einen Aspekt heraus, arbeitet nicht systematisch, sondern ephemer, spontan, in einer offenen Struktur.

AT: Gehören die Werke von Franz West, die hier auf der Biennale zu sehen sind, zusammen?

Hegyi: Er schafft nie nur ein Bild, meist sind es mehrere, oft mischt er auch mit Objekten. Er schafft „Quasi-Bilder” aus seinen eigenen Ausstellungsplakaten, die er übermalt. Er übermalt auch Freunde oder sich selbst – er relativiert immer, man weiß nicht, was ist real, was Imitation. Das ist auch so ein typisches Phänomen dieser Mentalität, von der ich vorhin sprach: die permanente Verunsicherung. Es erinnert zum Beispiel an Musil oder Kafka, dieser Ausdruck der Verunsicherung. Das kann man auch bei Nitsch und bei Weinberger feststellen.

AT: Inwiefern sind literarische Anspielungen wichtig?

Hegyi: Weinberger wollte ursprünglich Dichter sein. Das große Bild zum Beispiel, das auf der Biennale zu sehen ist, ist auf Text aufgebaut. Es zeigt einen Traum, den er gehabt hat, einen Traum, in dem er wandert. Das Bild ist eine Traumdeutung, ein Labyrinth, das von einer konfusen Situation ausgeht.

Der Ausgangspunkt ist immer Freud, auch bei Nitsch und West. Alle geben einen Kommentar zu Freud ab. In Wien herrscht eine sehr verbale Kultur, und alle drei Künstler repräsentieren typische Attitüden des Wiener Kunstlebens. Aufbauend auf konkreten kulturgeschichtlichen, historischen und anthropologischen Referenzen schaffen sie ihre individuelle Authentizität.

AT: Inwiefern ist Freud von Bedeutung?

Hegyi: Freud betrachtete den Körper als Prothese. Er war geradezu davon besessen. Die Dinge galten als Verlängerung des Körpers. Die gestörten Funktionen des Körpers rückten in den Vordergrund. Literatur und Kunst mussten immer einen psychoanalytischen, einen therapeutischen Hintergrund haben.

AT: Ist Hermann Nitsch eigentlich jugendfrei?

Hegyi: Jedes Land hat Gesetze, in denen das geregelt wird. Mit Nitschs Werk sind wir vor kurzem auf Europatournee gegangen. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. In einigen Ländern, so in Schweden, waren es religiöse Gruppen, die gegen Nitschs Werke protestierten, in anderen, wie in Italien, radikale Tierschützer. Obwohl Nitsch nie selbst Tiere tötet.

AT: Wahrscheinlich werden die Argentinier relativ locker mit dem Thema umgehen.

Hegyi: Ja, das kann ich mir vorstellen. Auch in Spanien hatten wir zum Beispiel überhaupt keine Proteste.

AT: Dennoch waren viele Besucher der Biennale ziemlich geschockt von den Video-Szenen und Bildern.

Hegyi: Der Schock ist in der ästhetischen Rezeption immer präsent, aber sublimiert.

AT: Die Videos basieren auf Hermann Nitschs „Sechs-Tage-Spiel” von 1998?

Hegyi: Ja, leider konnte ich nur für einen Tag hinfahren… Nitschs Ideen sind typisch mitteleuropäisch-österreichisch. Er strebt das Gesamtkunstwerk an, die sensuelle Erfahrung. Mit realen Materialien in realer Zeit will er keine Story erfinden, sondern einen Ritus vollziehen, der immer wiederholt wird. Wie in der Religion die gleichen Prozesse immer wieder vollzogen werden. Reale Zeit in Verbindung mit dem Mythos, mit dem kollektiven Unbewussten. Nitsch will zurück zum archaischen Theater, zu den direkten Effekten.

AT: Nitsch ist ja auch Komponist?

Hegyi: Ja, er komponiert die Musik zu seinen Ritualen, er mischt Völksmusik, klassische/romantische und elektronische Musik, die oft parallel zu den Ritualen spielen. Da tritt zum Beispiel immer ein Bauern-Orchester auf. Für mich ist die Musik der schönste Teil an Nitschs Werk.

AT: Wie gefällt Ihnen Buenos Aires?

Hegyi: Ich bin jetzt schon zum sechsten Mal hier und es gefällt mir wahnsinnig gut! Exotische Städte mag ich nicht besonders gern, und hier scheint mir genau die richtige Mischung zu herrschen.

Das Interview erschien am 30.12.2000 im “Argentinischen Tageblatt”.

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