Berliner Sommer in Buenos Aires

| Off Topic | 23/9/06 | 0 comentarios

Das 6. Deutsche Kino-Festival wird am kommenden Donnerstag mit “Sommer vorm Balkon” von Andreas Dresen eingeläutet

Von Susen Hermann

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Katrin (Inka Friedrich) und Nike (Nadja Uhl) verzweifeln in Andreas Dresens Komödie “Sommer vorm Balkon” an der Männerwelt.

“Ick werd’ Nike jenannt”, stellt sich die schlanke Blondine der pflegebedürftigen Helene vor, bevor sie ihren Abwasch macht und das Essen zubereitet. Nach Helene fährt Nike mit ihrem klapprigen Rad zu Oskar. Auch der Kriegsveteran wird von ihr gepflegt und schwärmt über ihren guten Kaffee. “Dit is Tee, Oskar”, korrigiert sie ihn mit liebevoller Berliner Schnauze.

Nike lebt in einem Mietshaus in Berlin. Katrin auch. Nike arbeitet in der Altenpflege, Katrin ist arbeitslos. Nike lebt in ihrem Chaos, Katrin zusammen mit ihrem Sohn. Doch ein Problem teilen sich die sympathischen Frauen: die Männerwelt. Allabendlich treffen sich die beiden weintrinkend auf Nikes Balkon, um all die kleinen und großen Probleme miteinander zu teilen. Doch dann tritt Ronald in ihr Leben.

Ronald ist Lastkraftwagenfahrer. Ronald kennt die deutsche Autobahn und er kennt seinen Truck. Den Schriftsteller Stendhal kennt Ronald nicht. Und auch nicht die Basis einer funktionierenden Beziehung. Er ist ein Macho, er hat keinen Verstand und nun hat er auch noch Nike. Die musste sich ausgerechnet in den dreifachen Vater verlieben. Jetzt hat sie nicht nur die Probleme mit ihrer Chefin und Helenes Tochter, sondern auch noch Ronald am Hals. Dieser zieht Hals über Kopf bei ihr ein und zerstört die gemütlichen Abende mit Katrin.

Andreas Dresens Komödie “Sommer vorm Balkon” ist anders. Sie hat keinen Anfang und eigentlich auch kein Ende. Sie beginnt mitten in einem Vorstellungsgespräch in Berlin und endet mitten im Leben zweier Frauen, die es dem Zuschauer erlaubten, einen Blick in ihr Leben zu werfen. Mit ihnen zu arbeiten, mit ihnen den richtigen Mann zu finden und mit ihnen den Rotwein auf dem Balkon zu genießen.

“Verano en Berlín”, so der spanische Titel, zeigt Berlin von seiner typischen Seite: seine Straßen, U-Bahnstationen, seine Jugend und seine Alten, die allein in ihren mit Blümchentapete tapezierten Wohnungen auf den Tod warten. Es ist eine Aneinanderreihung von verschiedensten Szenen aus dem Großstadtleben. Trauer, Mitgefühl, aber auch eine gesunde Portion Witz nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise ins Berliner Leben.

Auch die Schauspieler gehen in ihren Rollen auf. Inka Friedrich überzeugt als alkoholabhängige Katrin, die darauf besteht, nicht 40, sondern 39 1/2 zu sein. Nadja Uhl als Nike, die in Stretchjeans und knallengen T-Shirts frischen Wind in die Altenpflege bringt, und natürlich Andreas Schmidt. Dieser spielt die Rolle des dummen und machomäßigen Lastkraftwagenfahrers so überzeugend, dass man am liebsten selbst einschreiten möchte, um der verliebten Nike die Augen zu öffnen.

“Genau so ist Berlin”, schwärmt die Berlinerin Jule Fischer, die sich zur Zeit in Buenos Aires aufhält und in Dresens Film ein Stück Heimat wiederentdeckt hat.

Mit “Verano en Berlín” wird am Donnerstag das “VI. Festival de Cine Alemán” für geladene Gäste eröffnet. Die Komödie wird am Samstag, den 30. September, um 22.40 Uhr; am Dienstag, 03. Oktober, um 17.40 Uhr sowie am Mittwoch, 04. Oktober, um 15 Uhr im Rahmen des Festivals wiederholt.

Noch neun weitere Langspielfilme aus Deutschland stehen auf dem Programm. Die Filme werden in deutscher Sprache und mit spanischer oder englischer Untertitelung ausgestrahlt. Das Festival beginnt am Donnerstag, den 28. September, und endet am Mittwoch, den 04. Oktober.Mit dabei ist auch das Stasi-Drama “La vida de los otros” (Das Leben der Anderen). Das Debütwerk von Florian Henckel von Donnersmarck dreht sich um die Machenschaften des DDR-Geheimdienstes und hat schon mehrfach Preise abgesahnt. Seit dieser Woche steht das Drama auch noch ganz hoch im Kurs auf eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bester Auslandsfilm. Die erste Hürde auf dem Weg zum begehrten Filmpreis hat Donnersmarcks Werk am Montag genommen. Da wurde er von einer deutschen Fachjury ausgewählt. Im Januar 2007 wird die Academy of Motion Picture Art and Sciences die fünf Filme auswählen, die als Oscar-Nominierung in die Endrunde gelangen. “La vida de los otros” wird am Freitag, den 29., um 19.45 Uhr, am Samstag, den 30., um 00.50 Uhr. und am Mittwoch, den 04., um 17.10 Uhr ausgestrahlt.

Ebenfalls am Mittwoch, den 04. Oktober, jedoch schon um 20.30 Uhr, geht es 90 Jahre zurück in die deutsche Film-Vergangenheit. Mit musikalischer Live-Begleitung wird dann der restaurierte Film “Historias Tenebrosas” (Unheimliche Geschichten) von Richard Oswald ausgestrahlt. Mit “Unheimliche Geschichten” drehte der Filmemacher 1919 einen frühen Vertreter des Horrorfilms.

Alle Spielfilme werden im Saal 3 des Village Recoleta gezeigt. Der Kinokomplex befindet sich an der Kreuzung Vicente López und Junín. Der Eintritt beträgt generell 12 Pesos. Mittwochsfilme kosten 10 und ein Abonnement von 5 Filmen gibt es für 50 Pesos. “Historias Tenebrosas” kostet 15 Pesos. Der Vorverkauf im Village Recoleta hat bereits begonnen.

Weiterführende Infos auf der Internetseite www.cinealeman.com.ar und im folgenden Programm:

  • “Verano en Berlín” (Sommer vorm Balkon) – Tragikomödie von 2005. 107 Min. Regisseur: Andreas Dresen. Mit Nadja Uhl, Inka Friedrich, Andreas Schmidt.
    Nike und Katrin treffen sich regelmäßig auf Nikes Balkon. Dort sinnieren sie über die bunte und schwierige menschliche Existenz und ihre Probleme mit dem anderen Geschlecht. Bis Ronald in Nikes Leben tritt.
    Sa, 30.9. um 22.40 Uhr; Di, 03.10. um 17.40 Uhr; Mi, 04.10. um 15.00 Uhr.
  • “La vida de los otros” (Das Leben der Anderen) – Drama von 2005. 137 Min. Regie: Florian Henckel von Donnersmarck. Mit Martina Gedeck, Ulrich Mühe, Sebastian Koch.
    Ost-Berlin, November 1984. Das intime Eindringen in die Welt der Observierten macht den Stasispitzel Wiesler die Armseligkeit seines eigenen Daseins bewusst und eröffnet ihm eine nie gekannte Welt.
    Fr, 29.9. um 19.45 Uhr; Sa, 30.9. um 00.50 Uhr; Mi, 04.10. um 17.10 Uhr.
  • “La sonrisa del monstruo marino” (Das Lächeln der Tiefseefische) – Drama von 2005. 88 Min. Regie: Till Endemann. Mit Jacob Matschenz, Alice Dwyer, Adrian Topol.
    Malte will nur eines: Die Führerscheinprüfung machen und nichts wie weg vom Ostseedorf! Um Geld zu verdienen, schmuggelt er regelmäßig Zigaretten über die Grenze. Im voraus der Kurzfilm “Die Frau vom 4. Foto unten rechts”.
    Do, 28.9. um 17.50 Uhr; Fr, 29.9. um 0.35 Uhr; So, 01.10. um 20.05 Uhr.
  • “El libre albedrio” (Der freie Wille) – Drama von 2005. 163 Min. Regisseur: Matthias Glasner. Mit Jürgen Vogel, Sabine Timoteo, Manfred Zapatka.
    Theo, ein Vergewaltiger, kommt nach 9 Jahren aus dem Maßregelvollzug. Seine Angst vor Frauen macht sein Leben in der Normalität zu einem Martyrium.
    Fr, 29.9. um 22.35 Uhr; Sa, 30.9. um 15.30 Uhr.
  • “Lost Children” – Dokumentarfilm von 2005. 98 Min. Regisseur: Ali Samadi Ahadi, Oliver Stoltz.
    In Uganda herrscht seit über 18 Jahren Bürgerkrieg. Kinder zwischen 8 und 14 Jahren werden entführt, um die Armee gegen die Guerrilla zu unterstützen. Der Film erzählt die tragische Geschichte von vier Kindern, die das Glück hatten, zu entkommen.
    Fr, 29.9. um 15.40 Uhr; Di, 03.10. um 22.30 Uhr.
  • “¡Hay que ser duro!” (Knallhart) – Drama von 2006. 98 Min. Regisseur: Detlev Buck. Mit David Kross, Jenny Elvers, Jan Henrik.
    Michael wohnt mit seiner Mutter im Haus ihres reichen Liebhabers. Bis dieser ihrer eines Tages überdrüssig wird und sie im wahrsten Sinne des Wortes auf die Straße setzt.
    So, 01.10. um 22.15 Uhr; Mo, 02.10. um 20.15 Uhr; Di, 03.10. um 15.40 Uhr.
  • “La cacatúa roja” (Der rote Kakadu) – Drama von 2005. 128 Min. Regisseur: Dominik Graf. Mit Max Riemelt, Jessica Schwarz, Ronald Zehrfeld.
    Frühling 1961, wenige Monate bevor die Berliner Mauer gezogen wird. Vor diesem Hintergrund entsteht eine komplizierte Dreierbeziehung zwischen Siggi, dem Schauspieler, Luise, einer bildhübschen angehenden Dichterin und Wolle, einem unverbesserlichen Rebell.
    Mo, 02.10. um 17.45 Uhr; Di, 03.10. um 19.55 Uhr; Mi, 04.10. um 23.30 Uhr.
  • “La posesión” (Requiem) – Horrorfilm von 2005. 92 Min. Regie: Hans-Christian Schmid. Mit Sandra Hueller, Burghart Klaussner, Imogen Kogge.
    Der Film beschäftigt sich mit dem “Fall” von Anneliese Michel. Zu Beginn der 1970er Jahre wurde an ihr eine Teufelsaustreibung vorgenommen, die zu ihrem Tod führte. Im voraus der Kurzfilm “Tradition”.
    Fr, 29.9. um 17.40 Uhr; Sa, 30.9. um 20.40 Uhr; Mo, 02.10. um 15.40 Uhr.
  • “Emma, la afortunada” (Emmas Glück) – Liebesfilm von 2006. 99 Min. Regie: Sven Taddicken. Mit Jördis Triebel, Jürgen Vogel, Hinnerk Schönemann.
    Emma lebt völlig allein als Schweinezüchterin auf dem heruntergekommenen und hoffnungslos verschuldeten Hof ihrer Familie. Bis Max mit seinem Jaguar aus der Kurve fliegt und auf Emmas Hof landet. Im voraus der Kurzfilm “Mr. Schwarz, Mr. Hazen & Mr. Horlocker”.
    Fr, 29.9. um 22.30 Uhr; So, 01.10. um 18 Uhr.
  • “El tesoro de los halcones blancos” (Der Schatz der weißen Falken) – Abenteuerfilm von 2005. 87 Min. Regie: Christian Zübert. Mit David Bode, Kevin Köppe, Victoria Scherer.
    In einer Villa finden drei Freunde die geheimnisvolle Schatzkarte der legendären “Weißen Falken”, einer Kinderbande aus den 70er Jahren, deren Anführer Peter auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Im voraus der Kurzfilm “Kater”.
    Sa, 30.9. um 18.40 Uhr; So, 01.10. um 16 Uhr.
  • “Next Generation” – Kurzfilme mit einer Gesamtlaufzeit von 89 Min. von Nachwuchsregisseuren. Filme wie: “Ich rette das Multiversum” von Ulf Groote, “Bazar” von Markus Sehr und Mathias Krämer, “Kalte Haut” von Sebastian Kutzli und mehr.
    Do, 28.9. um 16 Uhr; Mo, 02.10. um 22.15 Uhr.

Erschienen am 23.09.06 im “Argentinischen Tageblatt”.

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