Auf den Spuren des Bandoneons
“La Casa del Bandoneón” startet Produktion des ersten kindgerechten Instruments
Von Kathrin Leimig
Prototyp eines kindgerechten Bandoneons:
Bei der Präsentation des fertigen Instruments durfte auch geübt werden.
“Der schwarze Kasten atmet schwer im roten Licht der Bühne. Hörbar klappern die Tasten, wenn die Finger über die Knöpfe flitzen. Nach und nach dehnt sich das Ding wie eine Raupe über die Knie des Spielers, bis es fast den Boden berührt. Nur die Töne schwingen sich klagend nach oben, strafen die Schwerkraft Lügen. Die Finger allein scheinen zu wissen, wie die süße Schwermut aus ihrem Versteck in dem speckigen Holzkasten herauszulocken ist…”
Wer kennt ihn nicht, den typischen, unverwechselbaren Klang des Bandoneons, des Klaviers des kleinen Mannes, der Orgel für den Feierabend? Das sehnsüchtige Klagelied dieser komplexeren Ziehharmonika füllte Jahre und Jahrzehnte lang die geselligen Abende der Arbeiterklasse.
“Heute ist das traditionsreiche Instrument vom Aussterben bedroht”, verrät Oscar Fischer, Leiter der “Casa del Bandoneón” in San Telmo. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Überleben des scheinbar vergessenen Musikinstruments zu sichern. Sein Team, bestehend aus Metallingenieuren, Holzfacharbeitern, Lehrern und anderen Bandoneonbegeisterten, hat sich auf die Restauration in die Jahre gekommener Instrumente, Bandoneonunterricht sowie Ausbildungsklassen in Bandoneonreparatur spezialisiert. “Wer im Internet nach dem Stichwort “Bandoneon” sucht, findet größtenteils nur noch Verkaufsanzeigen aus dem Ausland, denn die Bandoneonkultur ist vielerorts verlorengegangen”, erläutert der passionierte Instrumentenbauer.
Laut Fischer hat diese Entwicklung zwei nachvollziehbare Ursachen: Zum einen sorgen die häufigen Wirtschaftskrisen in Argentinien dafür, dass pro Jahr zwischen 50 und 70 wertvolle Exemplare ins Ausland verkauft werden, so dass es heute noch etwa 20.000 Bandoneons im Land gibt. Zum anderen ist das allmähliche Verschwinden des einst so populären “Blasebalgs” die logische Konsequenz seines sozio-kulturellen sowie geschichtlichen Kontextes.
Präzisionsarbeit: Der Holzkörper eines Bandoneons
wird mit dem Laser zugeschnitten.
Bereits 1835 legte Carl Friedrich Uhlig mit seiner Konzertina in Chemnitz den Grundstein für das Instrument, das einmal charakteristisch für den argentinischen Tango werden sollte. Der Krefelder Musikalienhändler Heinrich Band guckte sich einige Jahre später von seinem Bekannten das Prinzip der deutschen Konzertina ab und entwickelte es weiter. Band selbst war ein geschickter Marketingstratege und wollte dem “neuen” Instrument einen Namen geben, der kommerziell erfolgversprechend war. Er orientierte sich bei der Namensgebung an der Wortneuschöpfung “Accordion”, einer Kombination aus dem italienischen “Akkord” und der altgriechischen Silbe “Ion”, wörtlich “das Gefundene”. Für seine Marketingzwecke fand Band das Wort “Bandion” jedoch nicht wohlklingend genug, deswegen fügte er noch eine Silbe ein und kreierte 1844 den Namen “Bandonion”, der später analog zu “Akkordion” in “Bandoneon” bzw. “Akkordeon” verändert wurde.
Es ist nachgewiesen, dass Band zunächst Konzertinas in Böhmen aufkaufte, um dann maßgebliche Veränderungen an den Instrumenten vorzunehmen. Für ihn hatte die damalige Konzertina mit ihren 54 Tönen einen zu geringen Tonumfang, deswegen entwickelte er das Instrument in der praktischen Arbeit seines Krefelder Stadtorchesters weiter: Schon 1846 entstand das 100-tönige Bandoneon, das von Orchestern gerne im Gehen, sprich bei Umzügen, benutzt wurde.
Das “neue” Instrument wurde in Deutschland mit der Zeit zu einem Protagonisten der Volksmusik und avancierte innerhalb der Arbeiterbewegung um 1900 zum Kult. 40 Jahre später gab es in Deutschland etwa 800 Bandoneonvereine, in denen hauptsächlich im vierstimmigen Satz gespielt wurde. Wegen seiner komplexen, anspruchsvollen Spielweise wurde das Bandoneon jedoch allmählich verdrängt und von dem viel leichter spielbaren Akkordeon ersetzt. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden schließlich die Sachsener Musikinstrumentenfabriken in Waffenproduktionen umgerüstet, und die dortige Instrumentenherstellung fand ihr jähes Ende.
Wie aber kam das Instrument in Kontakt mit dem argentinischen Tango? Vermutlich gelangte das Bandoneon über die USA nach Südamerika: Der deutsche Einwanderer Wilhelm Seyffardt ließ sich 1855 von seinem Bruder ein Exemplar nach Amerika schicken. Es gibt Spekulationen über Seefahrer, die für die weitere Verbreitung des Instruments in Richtung Süden verantwortlich sind. Eines aber ist sicher – das Bandoneon fand erst in Argentinien seine wahre Berufung: die musikalische Ehe mit dem Tango. Der Ende des 19. Jahrhunderts in den Hafenvierteln von Buenos Aires entstandene Gesellschaftstanz wurde zur Ausdrucksmöglichkeit der desillusionierten Einwanderer. Zu dem Wenigen, was die deutschen Immigranten im Gepäck hatten, gehörte stets der “Blasebalg”, und in den Spelunken und Kaschemmen der südamerikanischen Vorstädte vermählte sich der wehmütige Heimatklang des Bandoneons mit dem Rhythmus der neuen Musik. Das Bandoneon brauchte den Tango und der Tango das Bandoneon.
Der Bau eines Bandoneons kann Monate dauern:
Metallingenieur Guillermo Miguel Alvarez bei der
Arbeit in der “Casa del Bandoneón”.
Heute hat das Bandoneon zwar seinen festen Platz in der Tangokultur, es stellt sich aber eine neue Frage: Wie kann man die Bandoneonkultur an die nächsten Generationen weitergeben? Marcelo Ruggeri, der in der “Casa del Bandoneón” die Holzkörper der Instrumente baut, erläutert die Problematik des Bandoneons: “Für ein Kind ist es fast unmöglich, das Bandoneonspielen zu erlernen, denn die Instrumente sind für Männerhände gebaut und deswegen können kleine Hände die Tasten einfach nicht greifen.” Für Abhilfe sorgten jetzt die Ingenieure der “Casa del Bandoneón” unter der Leitung von Guillermo Miguel Alvarez. In jahrelanger Arbeit produzierten sie den Prototypen eines “kindgerechten” Bandoneons, nach dessen Vorbild nun 10 weitere Exemplare gefertigt werden. Alvarez bekennt: “Die Produktion eines einzelnen Bandoneons kann Monate in Anspruch nehmen, und wir hoffen, mit unserer Arbeit die Wiederauferstehung des Bandoneons zu erreichen, damit es wieder zu seiner alten Popularität findet.”
Für weitere Informationen rund um das Bandoneon besuchen Sie die folgende Webseiten: www.casadelbandoneon.com.ar, www.neppel.com/musik.html oder www.inorg.chem.ethz.ch/tango.
Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 16.12.06.
17/10/07 a las 17/10/2007
quiero conocer mas de la construccion del bandoneon o sea el tipo de madera y estas cosas