Diskreter Blick zweier Videokunst-Gurus
Marcel Odenbach und Robert Cahen im Espacio Fundación Telefónica
Von Susanne Franz
Zwei Großleinwände sind mitten im Raum in einem spitzen Winkel angeordnet, der Betrachter steht auf der freien Linie des gedachten Dreiecks. Rasend schnell flitzen zwei Bilder auf jeder Seite auf die Mitte zu und lösen sich dort auf, während immer wieder andere Bilder folgen. Manchmal läuft auf beiden Seiten dasselbe ab, manchmal sind es zwei unterschiedliche, sich komplementierende Szenen. Man ist mittendrin, wird hineingezogen in ein schwindelerregendes Sinneserlebnis. “Auf den fahrenden Zug springen” heißt diese Video-Installation von 1989-91 des deutschen Künstlers Marcel Odenbach (geb. 1953 in Köln). Typisch für die bahnbrechende Arbeit dieses Pioniers der Video-Kunst ist, dass auch dokumentarische Szenen in die Bilderfolge eingearbeitet sind.
So schnell wie die Bilder flitzen tausende Assoziationen durch die Synapsen im Hirn des Betrachters. Die Eisenbahnen, mit denen die Siedler aus dem “alten Kontinent” das riesige Amerika durchschnitten und so “die Zivilisation” brachten – und alles, was dabei “auf der Strecke blieb”: Indianerkulturen, Büffelherden, friedliches Zusammenleben. Die Züge, die Millionen Menschen, wie Tiere eingepfercht, in Nazi-Deutschland in die Vernichtungslager brachten. Selbstmörder. Abschied. Hetze, ohne Ruhe zu finden. Unterwegs-Sein, ohne anzukommen.
In den Arbeiten Odenbachs gehen das Konzept und die künstlerische Umsetzung eine perfekte Verbindung ein. Vom banalsten bis zum tiefgründigsten Gedanken hat hier alles Platz, und nie kommt der ästhetische Genuss bei der Rezeption der Kunstwerke zu kurz.
In einem anderen Raum läuft eine andere Zeit ab: Zwei Großleinwände stehen in einem 90-Grad-Winkel. Langsame, traumgleiche Bilder aus der Eiswelt der Antarktis erscheinen auf der einen. Auf der anderen die gleiche Szene, aber ein para Sekunden zeitversetzt. Das Raum-Zeit-Kontinuum aufhebend, versetzen diese Winterlandschaften (“Paysages d’hiver”) des französischen Künstlers Robert Cahen den Betrachter in einen meditativen Zustand. Cahen (geb. 1945 in Valence) ist ein Meister der unmerklichen Übergänge, seine Video-Installationen sind von überirdischer Schönheit, wohingegen bei Odenbach die Sozialkritik und der Humor immer auch Distanz schaffen.
Die brasilianische Gast-Kuratorin und Video-Expertin Solange Farkas hat für die exzellente, sehr zu empfehlende Ausstellung “La mirada discreta” (Der diskrete Blick) im Espacio Fundación Telefónica eine hervorragende Auswahl von Arbeiten dieser beiden weltweit anerkannten Videokunst-Gurus getroffen. Die technische Ausstattung der Ausstellungsräume erlaubt es, diesen beiden Meistern wirklich gerecht zu werden – wahrscheinlich kann man in ganz Argentinien nur hier eine solche Ausstellung machen.
“La mirada discreta” kann man dank der Unterstützung des Goethe-Instituts Buenos Aires sehen – und sollte sich dieses Erlebnis nicht entgehen lassen. Neben zwei großen Video-Installationen jedes Künstlers im Obergeschoss des “EFT” sind im Erdgeschoss eine größere Zahl weiterer Videoarbeiten von Odenbach und Cahen zu sehen. Bis zum 14. Januar im Espacio Fundación Telefónica, Arenales 1540. Öffnungzeiten: dienstags bis samstags 15-20 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 23.12.06.