“Wer später geboren wird, erinnert sich nicht mehr”

Virtuelles Exil-Archiv bietet Biografien verfolgter Künstler und Intellektueller

Von Florian Kraupa

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Peter Gorlinsky in der Tageblatt-Redaktion.

“19. April 1933: Emigration in die Schweiz; Niederlassung in Zürich, Sommeraufenthalt in Ascona, von Freunden unterstützt.” So beschreibt www.exil-archiv.de, das virtuelle Zentrum der Verfolgten Künste, den Moment, als die deutsche Schriftstellerin Else Lasker-Schüler vor den Nationalsozialisten ins Exil fliehen musste. Neben einer umfangreichen Biografie Else Lasker-Schülers finden sich in diesem Online-Archiv über 1250 Biografien von Schriftstellern, Künstlern, Schauspielern, Journalisten und anderen Intellektuellen aus über 40 Ländern wieder, die im Gegensatz zu ihrer jeweiligen Staatsmacht standen oder stehen.

Auch Peter Gorlinsky, der 1938 aus Deutschland nach Uruguay floh und später die Redaktion des Argentinischen Tageblatts leitete, ist in der Liste vertreten. Gorlinsky – 1912 bei Kiew geboren – übersiedelte in den 1960er Jahren von Montevideo nach Buenos Aires und übernahm beim Tageblatt eine Stelle als Korrektor. Nur drei Wochen später stieg er zum Chefredakteur auf, auch aufgrund seines journalistisches Engagements für Emilie Schindler, die Frau des Judenretters Oskar Schindler, auf deren desolate Existenz in Argentinien er mit seinem Artikel “Und was ist mit Mutter Courage?” aufmerksam machte.

Gorlinskys Biographie wird durch Originaltonmaterial ergänzt. So kann man einen Auszug aus einem Interview abrufen, in dem er über die Bedeutung des Tageblatts als antifaschistisches Sprachrohr bis 1945 spricht (“Wenn Stefan Zweig in Buenos Aires gelebt hätte, hätte er keinen Selbstmord begangen! Hier konnte man den Geist des anderen Deutschlands spüren.”). Bis kurz vor seinem Tod Ende 1995 erschien Peter Gorlinsky pünktlich wie die Uhr an seinem Schreibtisch in der Tageblatt-Redaktion.

Die Biographien lassen sich alphabetisch oder thematisch sortiert abrufen. In der Kategorie “Journalismus” finden sich neben Gorlinsky weitere wichtige Exilpublizisten wieder. Der 1893 in Berlin geborene Manfred George, überzeugter linksliberaler Schriftsteller und Journalist, emigrierte 1934 zunächst nach Prag. Nach dem Münchner Abkommen im Herbst 1938 floh er über Ungarn, Jugoslawien, Italien, die Schweiz und Frankreich in die USA. In New York fand er bei der von jüdischen Einwanderern gegründeten Zeitung “Aufbau” eine neue Wirkungsstätte. Als Chefredakteur baut Manfred George die Zeitung zum wichtigsten Organ der deutschsprechenden jüdischen und politischen Emigranten aus. Er leitete das Blatt bis zu seinem Tod 1965.

Unter dem Schlagwort “Theater” stößt man auf den Theatermacher Paul Walter Jacob. Bereits 1932 flüchtete er vor der zunehmenden Anfeindung durch die Nationalsozialisten nach Paris und später nach Luxemburg. Anfang 1939 emigrierte er nach Argentinien. In Buenos Aires schrieb er unter anderem auch für das Argentinische Tageblatt. Ein Jahr später eröffnete er seine “Freie Deutsche Bühne”. 1949 kehrte Jacob nach Deutschland zurück und arbeitete als Intendant der Städtischen Bühnen Dortmund.

Das virtuelle Zentrum für verfolgte Künste besteht seit drei Jahren. Die Biografien sind in sieben Sprachen verfügbar, darunter Deutsch und Spanisch. Das Internetportal wird gemeinsam von der Wuppertaler Else-Lasker-Schüler-Stiftung “Verbrannte und verbannte Dichter/Künstler” und dem Museum Baden, Solingen betrieben. Das Ziel der Stiftung ist die Gründung eines realen Zentrums der Verfolgten Künste. Themen wie Zensur, Verbieten und Verbrennen von Büchern, Verfolgung und Emigration von Schriftstellern, Bildenden Künstlern und anderen Intellektuellen in der Vergangenheit und in der Gegenwart sollen in diesem Zentrum ihren Platz finden. Als Standort ist das Museum Baden, Solingen geplant. Bis jetzt fehlen allerdings die finanziellen Mittel zur Realisierung des Vorhabens. Die Internetseite dient daher als virtueller Platzhalter des realen Zentrums. Sie soll aber auch nach dessen Bau mit dem Zentrum vernetzt werden.

Neben den Biografien der verfolgten Künstler und Intellektuellen gibt es zusätzlich Informationen zu Themen wie Bücherverbrennung, Fluchtwege und Exilstationen, Liebesgeschichten im Exil und vieles andere mehr.

Das Zentrum der Verfolgten Künste will die demokratische Kultur fördern und zur Herausbildung von Toleranz und Respekt von Andersdenkenden beitragen. Damit soll ein aktiver Beitrag gegen Menschenrechtsverletzungen, Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit geleistet werden. “Wer weiß heute noch, dass Elisabeth Bergner, Billy Wilder, Max Reinhardt oder Peter Lorre vor der Nazidiktatur geflohen waren? Wer später geboren wird, erinnert sich nicht mehr, er wird erinnert”, meint Hajo Jahn, Gründer und Vorsitzender der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Und genau das schafft diese Seite – an die vielen Emigrantenschicksale zu erinnern.

Un comentario sobre ““Wer später geboren wird, erinnert sich nicht mehr””

  1. marina dice:

    hola soy la visnieta de peter gorlinsy hernesto su hijo y yo queremos saber si se nos podria proveer material de el ya que no contamos con casi nada de lo que el escribia. Por favor si alguien del diario me puede dar algo de material estoy interesada en la lectura de los mismos. Tuvimos una relacion muy cercana pero el era muy conservador en cuanto a su trabajo ahora tengo 26 años soy profesora de ingles y me interesaria leer sobre sus escritos desde ya muchas gracias
    saludos cordiales
    Greco Marina


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