Hollywood in der argentinischen Kleinstadt

| Off Topic | 4/4/07 | 0 comentarios

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Zwei Argentinier drehen Filme mit Nachbarn

Von Florian Kraupa

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Julio Midú (Mitte) und Fabio Junco (rechts) beim Dreh.

“Einen Film allein mit Lust und Willenskraft zu machen, ist nicht einfach. Aber es ist möglich”, weiß Julio Midú (31) aus jahrelanger Erfahrung. Mit 17 Jahren drehte er ohne jegliche finanzielle Mittel seine erste Telenovela “Enamorada” mit stolzen 30 Folgen. Als Kulisse diente ihm sein Heimatstädtchen Saladillo, zweieinhalb Stunden Autofahrt südlich von Buenos Aires gelegen. Echte Schauspieler konnte er nicht bezahlen, deshalb übernahmen seine Nachbarn die Rollen. “Anfangs war es schwer, sie als Darsteller zu gewinnen. Die Skepsis und die Scheu waren groß. Mit jeder verwirklichten Folge wuchs aber das Vertrauen”, schildert Midú die Anfänge einer Idee, die im Laufe von 14 Jahren zu einem landesweiten Phänomen geworden ist: “Cine con vecinos”, frei übersetzt “Nachbarschaftskino”. Mittlerweile beteiligt sich fast die ganze Stadt mit Begeisterung an seinen Filmen, sei es als Darsteller, Maskenbildner oder Fahrer.

1998 lernte er Fabio Junco bei einem Kurs zum Drehbuchschreiben in Buenos Aires kennen. Der 38-Jährige wuchs auch in Saladillo auf. In den letzten neun Jahren drehten sie in ihrem Heimatort gemeinsam 18 Spielfilme. “Einen solchen Low-Budget-Streifen kannst du am einfachsten in deinem Dorf machen, weil dich die Leute kennen und dir helfen”, meint Junco. So ließ sich bei einem vergangenen Projekt sogar eine spektakuläre Autoexplosion mit der kostenlosen Mitarbeit der örtlichen Feuerwehr und Sprengstoffexperten verwirklichen. “Auf diese Szene bin ich besonders stolz”, strahlt Midú.

Die letzten drei Spielfilme wurden auf Filmfestivals in Toulouse, Paris und Havanna gezeigt. Ihr aktueller Film “El último mandado” (Der letzte Wille) lief Mitte März beim Internationalen Filmfestival in Mar del Plata in der Kategorie “Historischer Film” – ein Riesenerfolg für die beiden.

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Ellen Wolf in “El último mandado”.

Die 80-jährige Ellen Wolf spielt darin die Rolle einer ehemaligen Nazi-Sekretärin im argentinischen Exil. Midú und Junco trafen die gebürtige Stuttgarterin bei einem Auftritt im Theater “Timbre Cuatro” in Buenos Aires, wo sie seit fünf Jahren als Schauspielerin mitwirkt. “Damals wussten wir noch nicht, dass Ellen Wolf als Jüdin 1935 vor den Nazis nach Argentinien flüchten musste. Wir suchten eine ältere Dame mit deutschem Akzent. Ellen war die einzige, die wir kannten”, erklärt Junco die brisante Besetzung. Die Dreharbeiten verliefen aber ohne große Probleme. “Nur Szenen, in denen sie mit einem Hitler-Foto agieren sollte, waren schwierig und brauchten viel Feingefühl”, erinnert er sich.

Normalerweise suchen die beiden Regisseure Laiendarsteller, die einer zu besetzenden Rolle ähneln. Die Drehbücher schreiben sie selbst und passen sie an die Arbeit mit Amateuren an. Gedreht wird digital, geschnitten am improvisierten Schneideplatz in Julios Wohnzimmer. Im Laufe der Zeit seien sie professioneller geworden. “Unsere ersten Filme hatten noch eine niedrigere Qualität. Die letzten drei Jahre haben wir Regie an der Filmschule ENERC in Buenos Aires studiert. Das merkt man unseren letzten drei Filmen an”, lacht Junco.

Auch die technische Ausstattung sei besser geworden. Bis auf den letzten Film mussten sie immer mit geliehenen Kameras und Mikrofonen arbeiten. “Bei jedem Dreh eine andere Kamera, das ist ganz schön schwierig”, berichtet Midú. Für “El último mandado” konnten sie mit der Unterstützung von Freunden endlich eine eigene Kamera und ein Mikrofon anschaffen.

Inzwischen ist aus der Not eine Tugend geworden, oder besser gesagt ein richtiges Genre im alternativen Filmbereich. In ganz Argentinien produzieren Laien ihr eigenes “Cine con vecinos”. 2004 riefen die beiden Filmfreaks deshalb ein nationales Filmfestival für Nachbarschaftskino ins Leben. Selbstverständlich findet das “Festival Nacional de Cine con Vecinos” in Saladillo, dem Geburtsort der Bewegung statt. Saladillo bezeichnet sich mitlerweile selber stolz als “Hauptstadt des Nachbarschaftskinos”. Seit Bestehen des Festivals haben bereits 50 verschiedene Orte landesweit Beiträge eingesandt. Bisher wird es von der Gemeinde und durch Anzeigen lokaler Unternehmen in der Festivalzeitung finanziert.

Midú und Junco planen für die Zukunft die Gründung einer eigenen Stiftung. Diese soll nicht nur das jährlich stattfindende Festival, sondern auch weitere eigene Filmprojekte finanzieren. Denn ganz ohne Geld lässt sich kein Film machen. Für Mini-DV-Kassetten und Reisekosten wurden beim letzten Werk knapp 4000 Pesos fällig.

Aktuell drehen die beiden Multitalente ihren ersten Dokumentarfilm über den Erfinder und Hubschrauberbauer Augusto Cicaré. Der lebt natürlich, wie sollte es anders sein, in Saladillo.

(Internet: www.cineconvecinos.com.ar)

“El último mandado” von Fabio Junco und Julio Midú wird gratis in Buenos Aires gezeigt: am Mittwoch, dem 11.4., um 19 Uhr, im Auditorium des “Colegio Público de Abogados de la Capital Federal”, Av. Corrientes 1441, im Rahmen des vom “Museo Ducrós Hicken” organisierten Kino-Zyklus “Perlas marplatenses” (Perlen aus Mar del Plata).

Um den Trailer von “El último mandado” in You Tube zu sehen, klicken Sie bitte hier.

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Ellen Wolf mit Lucas Midú auf dem offiziellen Filmplakat von “El último mandado”.

Der Artikel erschien im “Argentinischen Tageblatt” vom 31.3.07.

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