Der Stummfilm als Droge

| Film / Cine | 14/4/07 | 0 comentarios

“Brand upon the Brain!” von Guy Maddin war ein Highlight des BAFICI

Von Christina Liebl

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Mit einem außergewöhnlichen Kinoerlebnis begeisterte der kanadische Regisseur Guy Maddin am Dienstagabend das Publikum im Teatro Coliseo. “Brand upon the Brain!” hieß der Stummfilm, welcher bewusst auf moderne, technische Möglichkeiten verzichtet und dem Publikum so die Gelegenheit bietet, einen Einblick sowohl in die Geschichte des Kinos als auch in die Produktion eines modernen Films zu erhalten. Der Regisseur spaltete den Film in seine einzelnen “Zutaten” auf. Die auditiven Elemente wurden live im Saal produziert, wodurch die einzelnen Künstler sichtbar und neben den ablaufenden Bildern als Blickfang in Szene gesetzt wurden.

Der Film versetzte den Zuschauer in Zeiten zurück, als weder Farbe, noch Geräusche, Stimme oder Musik in den Film eingearbeitet werden konnten. Die Filmmusik wurde vor Ort vom Orchester des Colón-Theaters und dem Sänger Dov Houle beigetragen, während Geraldine Chaplin als Erzählstimme überzeugte. Außerdem sorgte ein Team von drei Foley-Künstlern für die untermalende Geräuschkulisse. Um die genaue Abstimmung zu gewährleisten, bediente sich der Regisseur jedoch moderner Technik, denn sowohl der Dirigent als auch die Geräuschkünstler waren mit Kopfhörern ausgestattet.

Schwarz, Weiß und Grautöne dominierten den Film und ließen viel Raum für Lichteffekte und die in der Tradition des Stummfilms stark ausgeprägte Mimik der Schauspieler. Nur für Sekunden blitzten farbige Einstellungen auf und unterstrichen so die Intensität des jeweiligen Gefühls. Immer wieder eingeschobene Texttafeln sorgten für einen ironischen Kommentar, die Verdeutlichung von Gefühlen oder zur Darstellung zentraler Gedanken.

Diese technischen Mittel nutzte Guy Maddin, um eine Geschichte in 12 Kapiteln, angefüllt mit schwierigen Thematiken, zu inszenieren: Ein Mann kehrt auf eine Insel zurück und stellt sich seinen Kindheitserinnerungen, in denen sich Fantastisches, kindliche Erfahrungen, der Inhalt von Büchern, Fiktion und Wirklichkeit mischen. Märchenhaft, unscharf und manchmal auch nicht logisch zu erklären sind die Vorgänge, die auf der Leinwand zu sehen sind. Dominant ist dabei die alles kontrollierende Mutter, die den kleinen Guy mit ihren Befehlen verfolgt. Liebe in allen Formen, Missbrauch und Abhängigkeiten, Kontrolle anderer Menschen werden mit ihren Auswirkungen angesprochen. In grausamer Detailtreue zeigt eine Szene, wie der Vater der Schwester, Sis, das Gehirn anzapft, um daraus einen “Nektar” zu gewinnen. Das Mädchen setzt sich zur Wehr und tötet den Vater. Die Wiederauferstehung des Vaters, der “verschobene” Selbstmord und die Wiedergeburt der Mutter lassen das Thema Tod zu einem ironischen Spiel werden.

Als Rahmenhandlung ist der erwachsen gewordene Guy zu sehen, der das Gebäude seiner Jugend symbolisch mit Farbe streicht und damit die Erinnerungen übertünchen will. Am Schluss steht das Fazit, dass das Gehirn eines jeden Erwachsenen von seinen Kindheitserlebnissen gebrandmarkt ist.

Das Publikum belohnte den Mut zum Experiment dieser einmaligen Kinoproduktion mit stehenden Ovationen.

Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 14.04.07.

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