Fortschritt durch Technik?

Die Ausstellung “Negatec” im Espacio Fundación Telefónica hinterfragt kritisch und mit viel Humor

Von Susanne Franz

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Oswaldo Maciás Installation “Surrounded by Tears” (Umgeben von Tränen) soll ein Bewusstsein dafür wecken, wie abgestumpft der globalisierte Mensch von heute gegenüber Presseberichten und -fotos von Kriegen oder Naturkatastrophen geworden ist. Susan Sontag beschrieb es in ihrem Essay “Der Schmerz der Anderen”. Maciá beweist, dass man noch nicht zu unsensibel ist, diesen Schmerz zu hören: Er hat rund um die Welt Wehklagen von Opfern aufgenommen und lässt sie uns aus in verschiedenen Höhen von der Decke hängenden Glocken vernehmen – und fühlen.

Der rasante Fortschritt der Technik hat in den vergangenen Jahren das Leben revolutioniert. Die Jugend sitzt vor dem Computer, tummelt sich in virtuellen Welten, die binäre Denkweise 1-0, ja-nein, schwarz-weiß lässt allmählich die Zwischentöne verschwinden, die das Leben reich machen. Alles ist “einfacher” mit Online-Banking oder Online-Shopping, man ist immer erreichbar mit dem Handy am Ohr, man kann alles was man will sofort haben mit E-Bay, Millionen Videos stehen bei YouTube zur Verfügung: So wächst eine Generation heran, die nicht mehr warten kann, keine Langeweile mehr erträgt. Und wenn der Strom ausfällt, herrscht die große Ratlosigkeit, denn was soll man machen, wenn innen nichts mehr drin ist und äußere Reize die Leere nicht überdecken?

Wie viel weiter hat die Technik den Menschen gebracht?

In der Ausstellung “Negatec” im Espacio Fundación Telefónica, die man noch bis Sonntag, den 27. Mai besuchen kann, gehen 13 international bekannte und renommierte Künstler und Künstlergruppen an diese Frage heran. Kurator der Ausstellung ist der 1937 in Deutschland geborene Uruguayer Luis Camnitzer, der seit 1964 in den USA lebt. Er wurde von der argentinischen Künstlerin und Kulturmanagerin Patricia Hakim eingeladen, diese Exposition zu organisieren, sie stand ihm als Co-Kuratorin zur Seite.

Camnitzer, selbst ein international berühmter Künstler und Lehrmeister, betont, dass die von ihm eingeladenen Künstler “keine negative, aber wohl eine kritische Position gegenüber dem technologischen Fortschritt” haben.

Die deutsche Künstlerin Martina Fischer beispielsweise zeigt das in sich geschlossene System, die nur dem eigenen Zweck dienenden “Auswirkungen” vieler technischer Errungenschaften, indem sie drei kleinen, staubsaugerähnlichen Machinen durch ein Kabel Strom zuführt, durch das sie zugleich auch wieder abgewürgt werden, so dass sie sich immer kurz vor und zurückbewegen, ohne jemals aus dem Kreislauf herauszukommen. Von Fischer stammen auch an der Wand installierte elektronische “Beichtkästen”, die mühevolles Formulieren oder peinliche Schuldeingeständnisse gnadenvoll überflüssig machen: Man nähert sich lediglich mit dem Ohr dem Kasten, und schon spricht eine Stimme den Sünder von seiner Schuld frei. Eine weitere Installation Martina Fischers ist ein Geldautomat, in dem man ein Herz schlagen hört. Wirft man durch den vorgesehenen Schlitz eine Münze ein, hört das Geräusch abrupt auf: Der “gütige Spender” hat den Kasten ermordet.

Können Börsenbewegungen hohe Kunst sein? Bei dem schwedischen Künstler Ola Pehrson ja: Er “übersetzt” die Börsenstatistiken in Noten und lässt sie von einem professionellen Chor singen. Sein “NASDAQ Vocal Index” hört sich überraschend gut an.

Die beiden argentinischen Künstler Roberto Jacoby und Syd Krochmalny preisen in ihrer Videoinstallation “La castidad” (Die Enthaltsamkeit) ebendiesen von beiden selbst praktizierten Lebensstil an. Dazu laden sie jeweils zwei Zuschauer (nach vorheriger Anmeldung) in einen abgeteilten Raum ein, in dem man es sich auf einem breiten Bett gemütlich machen kann. Durch Kopfhörer erhält man Anweisungen, dann läuft ein Video, auf dem die beiden durch Schauspieler dargestellten Künstler (ein Jüngling und ein älterer Herr) über allerlei im allgemeinen und die Enthaltsamkeit im besonderen philosophieren. Im Anschluss an den mit 20 Minuten zu langen Film kann man per Notebook mit denen beiden “live chatten”.

Enthaltsamkeit propagieren die beiden deshalb, um sich vom Gros ihrer Mitmenschen abzuheben, “etwas Besonderes” zu sein. Dabei mag man monieren, dass dieses Lebensprojekt dem Jüngeren vom Älteren aufgezwungen erscheint. Als Kritik an einer “übersexualisierten Gesellschaft” – so wollen es die beiden Künstler verstanden wissen – mag man es auch nicht akzeptieren, schließlich reden sie von nichts anderem als Sex, und auch wenn sie sich ihm verweigern, ist es doch nur die andere Seite derselben Medaille.

Gelungen ist jedoch, dass Jacoby und Krochmalny dieses sozusagen “altgriechische Lebensideal” der platonischen Liebe mit den Mitteln der neuesten Errungenschaften der Technik (Video, Computer-Notebook, Chat) propagieren und außerdem nicht persönlich in Erscheinung treten (also nur einen scheinbiographischen Anspruch erheben), sondern als zusätzlichen Anonymisierungsfaktor Schauspieler einsetzen. Und dann weiß man nicht, ob man wirklich am Ende mit den beiden persönlich chattet, oder ob nicht vielleicht die Putzfrau die Computer-Schicht übernommen hat. Auf dieser Meta-Ebene liefern die beiden Argentinier eine hochinteressante Medienkritik.

Die Yes Men, ein Künstlerteam aus den USA, zeigen ein Video von einer ihrer Aktionen. In einem nordamerikanischen Uni-Hörsaal verteilen sie zunächst Gratis-Hamburger an die Studenten und verkünden dann mit allergrößtem Ernst ihre Strategie, den Hunger in der Dritten Welt zu bekämpfen: Da die Menschen nur 20 Prozent der Nährstoffe eines Hamburgers verwerteten, sollte man aus den menschlichen Abfallstoffen (um nicht zu sagen Exkrementen) wiederum Hamburger herstellen und diese in Hungergebiete schicken. Die Reaktion der Studenten von ungläubigem Staunen bis zum wütenden Verlassen des Hörsaals ist genau das, was die Künstler erreichen wollen.

Zur Ausstellung “Negatec” im Espacio Fundación Telefónica in der Arenales 1540 (dienstags bis sonntags von 14-20 Uhr geöffnet, Eintritt frei) gehören weiterhin ein Video der US-Amerikanerin Jenny Perlin, eine Installation von Liza McConnell (ebenfalls USA) und Werke des Deutschen Ingo Günther, des Chilenen Alfredo Jaar, des Kolumbianers Oswaldo Maciá, des Belgiers Wim Delvoye, der in den USA lebenden Argentinierin Mika Rottenberg, dem Critical Art Ensemble (USA) und von Iñigo Manglano-Ovalle (in Spanien geboren, lebt in den USA).

Man sollte etwa 1 ½ bis 2 Stunden für den Rundgang durch die Ausstellung, den man im oberen Stockwerk beginnen sollte, veranschlagen. Es empfiehlt sich, die kurzen Texte zu jedem Werk zu lesen. Ein Besuch dieser selten hochklassigen Ausstellung kann nur empfohlen werden!

Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 19.05.07.

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“Im Kugelhagel bzw. Kugelregen” könnte man Iñigo Manglano-Ovalles Installation nennen. Aus einem Lautsprecher hört man das Geräusch eines sanften Regens, in Wirklichkeit handelt es sich um defragmentierte und wieder digitalisierte Sequenzen von Schüssen. Am Boden steht ein aufgespannter Schirm aus Kevlar-Tuch – dem Stoff, aus dem schusssichere Westen gemacht werden.

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