Gott, die Welt und die Vergangenheit

| Off Topic | 15/9/07 | 0 comentarios

Jüdische Kultur und Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Polens Beitrag zum VI. Internationalen Theaterfestival von Buenos Aires

Von Christina Liebl

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Eine Braut auf Abwegen – von einem Dybbuk besessen, verändert sich die junge Frau.

Der polnische Beitrag des VI. Internationalen Theaterfestivals mit dem Titel „The Dybbuk“ präsentierte eine unsentimentale, aber dennoch berührende Beschäftigung mit dem Judentum und dem Holocaust. Gezeigt wurde die Darbietung im Theater San Martín in der ersten Festivalwoche. Der Theaterkompanie TR Warszawa gelingt es in dem Stück, sowohl Komik als auch ernste und religiös-philosophische Aspekte zu vereinen.

Der Begriff „Dybbuk“ bezeichnet in der jüdischen Kultur eine Seele, die sich nach ihrem Tod von ihren Sünden befreien will oder Gerechtigkeit fordert und zu diesem Zweck den Körper eines Angehörigen in Besitz nimmt.

Die Basis des Stücks bilden drei die Darbietung gliedernde Texte. Den Anfang machen sieben kurze Geschichten, die sich mit Bräuchen, Glaubensweisheiten und Lebenserfahrung beschäftigen. Zumeist heiter und lehrreich, geben sie einen Einblick in die jüdische Gedankenwelt.

Der zweite Teil beruht auf einer umgeschriebenen und gekürzten Fassung von „Dybbuk“, einem Werk von Szymon Anski. Darin wird die Braut kurz vor der Hochzeit von der Seele ihres verstorbenen Geliebten besessen, der sich aus dem Jenseits am Brautvater rächt, der seine Tochter aus Geldgründen mit einem Anderen verheiratet. Doch mit dieser einfachen Geschichte vermittelt das Stück auch Informationen über Kabbala und jüdische Theologie. Gleichzeitig klingen auch Tod und Gedenken der Verstorbenen an.

Den Abschluss bildet die ebenfalls „Dybbuk“ genannte Erzählung der Autorin Hanna Krall. In diesem Teil wird der Holocaust klar angesprochen. Der nach dem Krieg in Frankreich geborene Sohn eines jüdischen Polen fühlt sich von der Seele seines Bruders besessen, der dem Holocaust zum Opfer gefallen ist. Damit erhält der Begriff Dybbuk eine neue Bedeutung: Es rückt die Erinnerung in den Vordergrund. Eine Erinnerung, von der sich die Menschen nicht befreien können und wollen. In zwei Figuren werden verschiedene Umgehensweisen mit eben dieser Vergangenheit gezeigt, ohne eine Wertung vorzunehmen: Dem Grübeln über Fragen, auf die keine Antworten zu finden sind und die so für den Menschen schmerzlich werden, steht das Akzeptieren und Mit-Gelassenheit-Ertragen gegenüber.

Das Ensemble überzeugte durch seine authentische schauspielerische Leistung und das Stück durch die objektive Reflektion, ohne jedoch distanziert zu sein. Metaphysische Fragen, auf die es keine allgemeingültigen Antworten gibt, werden in den Raum gestellt und regen zum Nachdenken an.

Ein großes Plus von „The Dybbuk“ ist der heitere Ton, der vor allem den Anfang und das Ende kennzeichnet und eine positive Möglichkeit andeutet, wie beispielsweise ein so tragisches Thema wie der Holocaust in der Erinnerung bewältigt werden kann.

Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 15.09.07.

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