Ein furchtloser Zauberer

Im Malba wurde die erste große Oscar Bony-Retrospektive eröffnet

Von Susanne Franz

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Oscar Bony in seinem Atelier in Buenos Aires, 1995. Im Hintergrund ein Foto von “La familia obrera”. (Foto: Gian Paolo Minelli)

Mit seinem Werk “La familia obrera” (Die Arbeiterfamilie), das er im Jahr 1968 im experimentellen “Instituto Di Tella” ausstellte, brachte der argentinische Künstler Oscar Bony (1941-2002), dem im Malba nun die erste umfassende Retrospektive gewidmet ist, restlos alle gegen sich auf. Sowohl die linke wie die rechte Presse wetterten, ein Riesenskandal brach los. Und der Künstler goss fleißig Öl in die Flammen.

In “La familia obrera” stellte Bony für die Zeit der “Experiencias” genannten Ausstellung im Di Tella eine “lebendige” Arbeiterfamilie auf einem Podest aus: Vater, Mutter und Sohn. Für die Tage der Schau hatte er dem Mann mehr Geld geboten als dieser in der Fabrik bekommen hätte. “Verhöhnung des Arbeiters!”, stöhnte die Linke, während konservative Kreise die Würde der Familie angegriffen sahen. Bewusst spielte Oscar Bony mit seinem Image als Ausbeuter des Proletariats und bezeichnete den Vertrag, den er mit dem Arbeiter geschlossen hatte (und der mit ausgestellt war), als das eigentliche Kunstwerk.

Heute existieren nur noch Fotos dieses Schlüsselwerks eines der bedeutendsten argentinischen Künstler, auf dessen schwer zu rekonstruierende Spuren sich der Chefkurator des Malba, Marcelo Pacheco, gemacht hat, um dem Publikum nun eine kompakte, wohldurchdachte und für Laien wie für Kenner interessante Exposition zu bieten. Viele Werke Bonys wie Performances oder zerstörtes Material wurden dafür rekonstruiert oder sind als Fotodokumente aus dem bedeutenden Archiv des Künstlers erhalten.

Nach dem Sturm der “wilden 1960er-Jahre” kam sehr abrupt die innere Emigration: Nachdem die Ausstellung “Experiencias” von der Polizei geschlossen wurde, zerstörten die Künstler ihre Werke und warfen sie auf die Straße, um danach das weitere Schaffen zu verweigern. Zu der Gruppe gehörten neben Bony u.a. auch Pablo Suárez und Margarita Paksa. Bony widmete sich nun der Fotografie: Er machte trendige Aufnahmen von Rockstars der Zeit, gestaltete Plattencover von legendären Bands wie Almendra oder Arco Iris und prägte die Ästhetik des “Rock Nacional” Anfang der Siebziger entscheidend mit.

Mitte der Siebziger begann er auch wieder zu malen – hyperrealistische Himmel- und Wolkenbilder, die wie Fotografien wirkten, während seine Fotos oft surrealistischen Gemälden ähnelten. Der zweite Abschnitt der Retrospektive ist diesen beiden Aspekten seines Schaffens gewidmet.

1977 verließ Bony mit seiner Familie das von der Militärdiktatur beherrschte Argentinien und ließ sich in Mailand nieder, wo er elf Jahre verbrachte. Obwohl er in dieser Zeit große Erfolge verbuchte, zahlreiche Ausstellungen hatte, ja, das Kunstleben Italiens mitprägte, ist diese Zeitspanne in der Retrospektive nur spärlich beleuchtet.

Den größten Raum nehmen die 1990er-Jahre ein, in denen Bony mit seinen von Revolverkugeln durchlöcherten Fotografien – vor allem Selbstporträts – weit über Argentinien hinaus Ruhm erlangte. Die zerschossenen Bilder tauchten erstmals 1994 in der Ausstellung “De amor y violencia” (Von Liebe und Gewalt) in der Kunstgalerie Filo’s auf; 1996 folgte in der Fundación Klemm die Exposition “Fotografías y vidrios baleados” (Zerschossene Fotos und Bilderrahmen), in der Bony auch erstmals seine “Suicidios” (Selbstmorde) genannten Selbstbildnisse zeigte. 1998 wurde im Museo Nacional de Bellas Artes “El triunfo de la muerte” (Der Triumph des Todes) eröffnet, im selben Jahr ehrte das Museum für Moderne Kunst (MAMBA) Bony mit einer Retrospektive seiner Werke der 1970er-Jahre.

“Ich bin ganz ruhig, wenn ich mit der 9 Millimeter auf die Bilder ziele”, schreibt Oscar Bony 1997 im Katalog der 5. Internationalen Kunstbiennale von Istanbul. “An der Wand meines Ateliers lehnen meine Selbstporträts und schauen mich an, auch die unendlichen Himmel Patagoniens, der Amazonas, der jeden Tag weiter niedergebrannt wird – all das, was im Vergehen begriffen ist und bald nur noch Erinnerung sein wird. Der Revolverschuss ist das entscheidende Signal, nun ist die Grenze gezogen. Das Glas splittert, ganz so, wie die nach dem Zufallsprinzip auftreffenden Kugeln es wollen. So wie es kaputtgegangen ist, bleibt es. Das Urteil des zerbrochenen Glases ist gefällt und kann nicht mehr angefochten werden.”

Die im ganzen 120 Werke umfassende Ausstellung “Oscar Bony, El mago (Der Zauberer)” wurde vom Malba im Rahmen einer Reihe von Expositionen produziert, die bedeutende argentinische Künstler des 20. Jahrhunderts wie Jorge de la Vega, Antonio Berni, Xul Solar, Victor Grippo und Alfredo Guttero in ein neues Licht rücken. Zu der Ausstellung ist ein zweisprachiger Katalog (Spanisch-Englisch) erschienen.

  • Oscar Bony, “El mago”, Werke 1965/2001, Retrospektive. Kurator: Marcelo Pacheco. Malba, Av. Figueroa Alcorta 3415. Do-Mo und feiertags 12-20 Uhr, dienstags geschlossen, mittwochs bis 21 Uhr, Eintritt frei. An den anderen Tagen: Eintritt 12 Pesos, Lehrer und über 65-Jährige 6 Pesos, Studenten, unter 12-Jährige und Behinderte gratis. Führungen mittwochs, donnerstags und freitags 17 Uhr, samstags und sonntags 18 Uhr. 22.11.-30.01.08.

Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 08.12.07.

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Oscar Bony, “El mago”, Farbfoto hinter zerschossenem Glas, 1998.

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