Abbilder einer Welt

Die Retrospektive „Un Mundo“ zeigt René Burri aus neuem Blickwinkel: als Künstler

Von David Schelp

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René Burri hat schon 1958 eine Geschichte über die Gauchokultur in Argentinien gemacht.

Die Bilder stecken voller Geschichten. Mit leuchtenden Augen schreitet der ältere Mann von Abzug zu Abzug. Auf dem Kopf den Panamahut, die Leica schussbereit um den Hals baumelnd, gibt er Anekdoten zum Besten, die sich oft über Jahre hinzogen – bevor er sie im Sekundenbruchteil des klackenden Auslösens seiner Kamera auf Polaroid bannte.

Die bedeutendsten der so entstandenen Fotografien hängen seit vergangenem Dienstag unter dem Titel „Un Mundo“ an den Wänden des Centro Cultural Borges. Rund 400 Aufnahmen des Schweizer Bildjournalisten René Burri, der persönlich zur Eröffnung der Ausstellung anreiste, können noch bis zum 21. April gesehen werden.

„Es ist die bislang größte, wichtigste und umfassendste Retrospektive von René Burri”, sagt Kurator Hans-Michael Koetzle. In minutiöser Kleinarbeit haben die Freunde in den vergangenen Jahren Bilder zusammengetragen und ein Konzept erarbeitet.Das Ergebnis dieses Marathons wurde 2004 erstmals in Paris präsentiert, Berlin, Lausanne, Zürich, Manchester, Mailand, Havanna und Mexico-City folgten. Koetzle erklärt: “Wir haben versucht, René Burri nicht mehr nur als den Bildjournalisten, den Chronisten des 20. Jahrhunderts, den Fotografen von Che Guevara vorzustellen – sondern tatsächlich als Künstler.”

Argentinien ist kein unbekanntes Terrain für Burri. “Vier, fünf Mal. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich schon hier war.” Für die Ausstellung in Buenos Aires haben der Altmeister und sein Kurator daher einige Fotos dieser Reisen ausgewählt. “René Burri hat schon 1958 eine große Geschichte über die Gauchokultur gemacht”, sagt Koetzle. “Das war der Beginn seiner Liebe zu Argentinien.”

Die Gäste folgen Burri derweil von Motiv zu Motiv und lauschen. Gerade erzählt er, wie er nach jahrelangem Versuchen und tausenden Autokilometern den Maler Pablo Picasso vor die Linse kriegte. „In meinem alten Volkswagen war ich von San Sebastián im spanischen Baskenland nach Nîmes gefahren, als ich hörte, dass Picasso dort sei“, beginnt Burri. Übermüdet kam er eine Nacht später in einem kleinen Hotel an, die Kameras immer noch über der Schulter. „Ich wollte nur noch schlafen, da schubst mich eine Frau durch die Tür in ein Zimmer. Ich drehe mich um – und da ist er: Picasso, der es sich auf dem Bett gemütlich gemacht hat.“ Burri war sofort wieder hellwach, machte eine fragende Geste mit dem Fotoapparat. „Picasso sagte: ‚Yes.‘ Da habe ich angefangen zu knipsen.“

Es sind diese Bilder von Ikonen wie Picasso oder Ernesto „Che“ Guevara, den er mit der Zigarre im Mund fotografierte, die Burri weltweit berühmt machten. Voller Leben sind jedoch auch die unzähligen Momentaufnahmen, in denen sich der Züricher dem Alltag der Menschen nähert. Eine stillende Mutter, die aus einem Zugfenster blickt. Ein Junge, der gedankenverloren eine Skulptur betrachtet. Durch Burri werden sie Teil einzigartiger Kompositionen, erhalten eine völlig neue und eigene Ästhetik. Wie ihm dies gelingt, umschreibt Burri in einem Satz: „Ich interessiere mich für die Menschen.“

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René Burri fotografiert sich mit der neuen Schweizer Botschafterin in Argentinien, Carla Del Ponte, am Dienstag bei der Ausstellungseröffnung im Centro Cultural Borges.
(Foto: David Schelp)

Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 16.02.08.

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