Soziale Ästhetik

Juan Carlos Castagnino im Museo Nacional de Bellas Artes

Von Katharina Guderian

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Aus der Serie „Cordobazo“.
(Foto: Katharina Guderian)

Unterschiedlicher könnten die Stilrichtungen kaum sein – farbenfrohe Ölgemälde, Acryl und Aquarelle, klare Tintenzeichungen, anatomische Zeichenstudien, Collagen mit Zeitungsausschnitten, Wandmalereien. Die Werke des argentinischen Künstlers Juan Carlos Castagnino haben eine Bandbreite, die ihresgleichen sucht. Sie werden vereint nicht nur von dem ästhetischen Bedürfnis des Künstlers, sondern auch von seinem sozialen und politischen Anspruch. Die Ausstellung „Humanismo, poesía y representación“ im Museo Nacional de Bellas Artes zeigt bis zum 28. September etwa 100 Werke des am 18. November 1908 in Mar del Plata geborenen Künstlers.

„Castagninos Wandmalereien werden oft vergessen, für mich bilden sie aber das Herz dieser Ausstellung“, betont Kuratorin Clelia Taricco. Nach Kunststudien am MEEBA (Escuela Superior de Bellas Artes) und Seminaren bei den Meistern Lino Eneo Spilimbergo und Ramón Gómez Cornet wurde Castagnino im Alter von 25 Jahren von dem Mexikaner David A. Siqueiros in die Gruppe einberufen, welche die Wandmalerei in der Quinta von Natalio Botana in Don Torcuato gestalten sollte. Danach schuf er zahlreiche weitere Wandbilder an den unterschiedlichsten öffentlichen und privaten Orten weltweit.

Sein wahrscheinlich bedeutendstes Werk in Argentinien schuf er 1945 zusammen mit Antonio Berni, Spilimbergo, Demetrio Urruchúa und Manuel Colmeiro Guimarás in den Galerías Pacífico in Buenos Aires. Die Ausstellung im Bellas Artes zeigt Kohlestudien auf Pergament, die der Künstler im Vorfeld für seine Wandmalereien fertigte, an welchen sich der Entstehungsprozess der Arbeiten nachvollziehen lässt. Faszinierend ist die auf eine große, weiße Wand projizierte Diashow seiner Wandmalereien, die laut Taricco so zum allerersten Mal überhaupt in einer Ausstellung gezeigt wird.

Bei den Wandmalereien kommt Castagninos besondere Beziehung zu seinem Publikum am stärksten zu tragen: „Ein Werk ist so lange nur ein potenzielles Kunstwerk, bis es seinen Betrachter trifft.“ Castagnino trieb die Wandmalerei in Argentinien voran und versuchte so, die Trennung zwischen der Öffentlichkeit und der Malerei zu bewältigen. Er spricht dem Betrachter eine wichtige Rolle zu, denn der Mensch vor dem Werk sieht, richtet, transformiert, ersinnt, liest und versteht. Für Castagnino galt Kunst als soziale Gegebenheit. Somit flossen neben seinen ästhetischen Ansprüchen auch die politischen und sozialen Interessen in seine Produktion ein. Er wollte Visionen und Ängste der Personen im sozialen Umfeld seiner Zeit als Bild des ganzheitlichen Menschen einfangen. „Die Kunst muss das Zeugnis unserer Welt sein, unserer Ideen und der sozialen Phänomene, in denen wir leben“, lautete Castagninos Dogma.

Der Künstler lernte 1939 bei einer Studienreise durch Europa unter anderem Braque, Léger und Picasso kennen. Doch seine 40 Schaffensjahre sind am stärksten geprägt von einem tiefen humanistischen Gefühl. In der Ausstellung sind Castagninos Werke sowohl thematisch wie auch chronologisch angeordnet. Der Mensch ist das Leitmotiv seiner gesamten Produktion. In den 40ern schuf er eine Serie von expressiven Landschaftsbildern, in den 50ern konzentrierte er sich auf Landarbeiter und Fabriklandschaften. Auch der Kontrast zwischen Stadt und Land ist ein allgegenwärtiges Thema seines Schaffens. Ende der 60er entstanden die Serien „Vietnam“ und „Cordobazo“. Diese beschäftigen sich mit der in den Medien gezeigten Gewalt. Die Collagen aus aufgeklebten Zeitungsausschnitten und schwunghaften Tuschezeichnungen schaffen verschiedene Bedeutungsebenen, die einen simultanen Dialog über Wirklichkeit und Interpretation ermöglichen. Castagnino illustrierte außerdem eines der wichtigsten Werke argentinischer Literatur, die Gaucho-Gedichte „Martín Fierro“ von José Hernández.

Der Künstler wurde mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, unter anderem der Ehrenmedaille in Malerei des internationalen Kunstfestes in Brüssel (1958), dem großen Ehrenpreis des Salón Nacional (1959) und dem Sonderpreis für Zeichnungen bei der II. Biennale von Mexiko (1962). Ein Jahr später wurde er zum Mitglied der Academia Nacional de Bellas Artes ernannt. Am 21. April 1972 verstarb er in Buenos Aires. Insbesondere seine Wandmalereien überall auf der Welt, werden aber seinen Dialog mit den Menschen weiterführen.

  • Bis 28.9. im Museo Nacional de Bellas Artes, Av. del Libertador 1473. Di-Fr 12.30-19.30, Sa und So 9.30-19.30 Uhr. Eintritt frei.

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