Ohne Titel
Kunst von Félix González-Torres wird im Malba präsentiert
Von Diana Hörger
„Untitled“ (Para un hombre en uniforme), 1991.
Ein funkelndes Meer an silbern verpackten Bonbons erwartet den Besucher, wenn er sich seinen Weg durch den schweren glitzernden, den Eingang versperrenden Türvorhang in den großen Saal im ersten Stock des Museums Malba gebahnt hat. Nicht mehr als ein riesiges teppichartiges Rechteck, das aus der Summe tausender Einzelteile hervorgeht. Aber auch nicht weniger als ein leuchtender Augenschmaus für den Betrachter. Viele der Werke des auf Kuba geborenen Künstlers Félix González-Torres erfüllen auf den ersten Blick scheinbar nur den Zweck, zu gefallen. Die meisten tragen den Namen „Untitled“, ohne Titel, verschweigen dem interessierten Besucher auch hier zunächst ihre Botschaft. Erst in Klammern erfährt man, dass etwa das Bonbon-Beet den Untertitel „Placebo“ und damit einen bitteren Beigeschmack hat.
Auch die anderen ausgewählten Plastiken und Fotografien der Werkschau in Buenos Aires ermöglichen jeweils zwei Lesarten. Der 1996 mit 38 Jahren in Miami verstorbene Künstler ist bis heute besonders für jene Werke berühmt, die gesellschaftskritisch sind oder das Verhältnis von Kunst und Betrachter auf die Probe stellen. So kann dann auch jeder der Gäste ein Bonbon, und damit einen Teil des Kunstwerks, an Ort und Stelle aufessen oder mit nach Hause nehmen. Auch Drucke etwa mit dem Schriftzug „Nowhere better than this Place“ (Nirgendwo besser als hier) darf der Besucher aus dem Museum mitnehmen, selber verorten, und somit selbst aktiver Teil des Prozesses werden. So löst González-Torres das starre Verhältnis von Kunstwerk und Betrachter auf, bringt Variablen ins Spiel, macht seine Werke zu einem sich auflösenden und immer wieder erneuerbaren Zeichen.
„Untitled“, Stellwand/Bett, 1991, auf der Terrasse des Malba.
Jeden Tag wird das Bonbonmeer aufgefüllt und die Posterstapel wieder auf Höhe gebracht. Ein simpler und doch effektiver Gedanke, der als das Markenzeichen des Künstlers gelten kann. Verdeckt und verspielt macht er auch auf Probleme aufmerksam, die sein Leben, das der homosexuellen Szene der USA und auch die der Weltbevölkerung betreffen. 1992 wurden in Manhattan 24 große Stellwände des Künstlers verteilt, auf denen ein Foto eines leeren, durchwühlten Bettes zu sehen war. González-Torres spielt damit auf die Intimität eines jeden Liebespaares an und auf die Tatsache, dass dieses natürliche Privileg schwulen Paaren in den Vereinigten Staaten bis 1986 verwehrt blieb. Ein Gesetz erlaubte es dem Staat bis dahin, rechtmäßig in die Häuser und damit in die Privatsphäre von homosexuellen Paaren einzubrechen. Das riesige leere Bett erinnert aber auch an den an Aids gestorbenen Lebensgefährten des Künstlers und damit an den Tod. Eine dieser Stellwände findet man auf der Terrasse im Malba.
„Untitled“ (Perfect Lovers), 1987-1990.
Wenn man von dort einen Blick in den Museumsraum wirft, kann man die beiden unscheinbaren Uhren erkennen, die dicht nebeneinander die Zeit messen. Wären sie sich auf dieser einsamen weißen Fläche gegenüber der Rolltreppe nicht so nahe, man könnte meinen, sie gehörten einfach zum Museumsinventar. Aber auch diese Installation namens „Untitled“ (Perfect Lovers) erinnert an den verstorbenen Geliebten und ist eine Hommage an perfektes und vielleicht unwirkliches Liebesglück: Zwei Herzen schlagen im gleichen Takt. In einem Interview sagte González-Torres einmal, es gefalle ihm, unterschwellig auf etwas hinzuweisen. Wie ein Spion, der kaum zu erkennen ist, wolle er Spuren hinterlassen, die gerade durch ihre Unscheinbarkeit wirkungsvoll sind. Der Betrachter denkt von nun an beim Anblick einer schwarzen Analoguhr vielleicht nicht mehr nur an die Zeit. Er denkt nach seinem Besuch im Malba möglicherweise an González-Torres. Ganz sicher jedenfalls beim Anblick der mitgebrachten Poster.
- Félix González-Torres, Kuba/USA 1957-1996, „Somewhere/Nowhere – Algún lugar/Ningún lugar“. Bis zum 3. November im Malba, Saal 5 (2. Stock), Saal 3 (1. Stock) und Terrasse, Av. Figueroa Alcorta 3415. Do-Mo und feiertags 12-20 Uhr, Di geschlossen, Mi bis 21 Uhr, Eintritt frei. An den anderen Tagen: Eintritt 15 Pesos, Lehrer und über 65-Jährige 7,50 Pesos, Studenten, Kinder unter 12 Jahren und Behinderte gratis.
Erschienen im „Argentinischen Tageblatt“ vom 20.09.08.