Visuelle Archäologen

Ausstellung “Armar Armenia” zeigt zeitgenössische armenische Videokunst

Von Hanna Jochims

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Das Zählen von Granatapfelkernen – Ausschnitt aus dem Werk von Jean Marie Casbarian.

In den Jahren 1915-1918 starben mindestens eine Million Armenier. Sie wurden im damaligen Osmanischen Reich, aus dem 1923 die Türkei hervorging, verfolgt, deportiert und gezielt umgebracht. UNO und EU haben ebenso wie zahlreiche unabhängige Historiker und Organisationen das Verbrechen benannt, das am armenischen Volk begangen wurde: Völkermord. Die Türkei bestreitet dies. Seit Jahrzehnten lautet die offizielle Version, dass die Umsiedlung der Armenier eine “kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahme” gewesen sei. Ethnische Säuberungen, eine geplante Vernichtung habe es nicht gegeben.

Wer die über 90 Jahre zurückliegenden Ereignisse als Genozid bewertet, bekommt den Ärger der Türkei zu spüren. So zum Beispiel Frankreich. 2001 verabschiedete die Nationalversammlung eine Deklaration, die den Völkermord offiziell anerkannte. Die Folge: vorübergehender Abzug des türkischen Botschafters, Aufruf zum Boykott französischer Produkte, Stornierung von Wirtschaftsaufträgen an französische Unternehmen in Höhe von Hunderten Millionen Dollar.

Deutschland geht Unannehmlichkeiten aus dem Weg: Mit den USA und Israel gehört es zu den Staaten, für die es offiziell keinen Völkermord gab und keine “Armenier-Lüge” gibt.

Innertürkische Kritiker müssen mit Verhaftungen und Strafandrohungen rechnen. Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk sagte 2005 in einem Interview mit dem Zürcher Tages-Anzeiger: “Man hat hier 30.000 Kurden umgebracht. Und eine Million Armenier. Und fast niemand traut sich, das zu erwähnen.” Für die türkische Presse war er ein “Verräter”. Pamuk und jene, die ihn verteidigten, erhielten Todesdrohungen. Er wurde wegen “Beleidigung des Türkentums” angezeigt. Das Verfahren wurde 2006 eingestellt – aus formalen Gründen.

Das Leben in der Diaspora bedeutete für die Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich eine plötzliche Auseinandersetzung mit einer für sie meist völlig fremden Kultur und Mentalität. Wie setzen sich ihre heute auf der ganzen Welt verstreut lebenden Nachkommen, wie setzt sich die dritte Generation nach dem Völkermord mit ihrer Identität in der Diaspora auseinander?

Eine künstlerische Auseinandersetzung zeigt die Ausstellung “Armar Armenia – Videoarte transnacional”. Sieben Künstlerinnen und Künstler armenischer Abstammung aus Los Angeles, Toronto, Paris, Berlin, Eriwan und Buenos Aires zeigen ihre Werke vom 1. bis 15. November in der Asociación Cultural Armenia (Armenia 1366) in Buenos Aires. Idee und Konzeption der Ausstellung stammen von Silvina Der-Meguerditchian. Die Argentinierin, deren Großeltern Überlebende der Deportationen waren, lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Videokunst wird ebenso zu sehen sein wie Werke von Achot Achot, Tina Bastajian, Jean Marie Casbarian, Archi Galentz, Kariné Matsakian und Garine Torossian. Als “visuelle Archäologen oder Anthropologen” suchen sie nach Wörtern, Bildern, Spuren der armenischen Kultur und erzählen vom Leben in der Diaspora.

Die Ausstellung “Armar Armenia” wird am heutigen Samstag, den 1. November, eröffnet (18-20 Uhr) und kann dann bis zum 15. November täglich von 14-19 Uhr besucht werden. Im Internet findet sich eine Plattform der beteiligten Künstler. Mehr Infromationen zur Arbeit von Silvina Der-Meguerditchian auf ihrer Webseite.

Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 01.11.08.

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