Begegnung mit der Pachamama

Teresa Peredas Projekt “Flores para un desierto” in der Salzwüste Boliviens

Von Susanne Franz

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Das mit bunten Bändern geschmückte Wollknäuel, das Teresa Pereda in ihrer Performance in Bolivien verwendete.

Die Pachamama ist eine anspruchsvolle Gottheit. Zum Beispiel hat sie es gern, mit Süßigkeiten verwöhnt oder besänftigt zu werden. Diese werden mit etwas Alkohol besprenkelt und dann sorgfältig verbrannt. Ein kleines Loch wird in die Erde gegraben und die zu Asche gewordene Gabe hineingelegt. Die Gebete der Schamanen oder die konzentrierte Andacht derjenigen, die das Opfer darbringen, tragen zur guten Verdauung und dem resultierenden Wohlwollen der Pachamama, der Mutter Erde, bei. Und zur Gewissheit ihrer Kinder: Sie wird unsere Ernte, unser Vieh beschützen, uns Nahrung und Kleidung geben, das, was wir zum Leben brauchen.

Gutes Essen und bunte Farben liebt die Pachamama. Es gefällt ihr, wenn das schönste Tier der Herde für sie geopfert wird und man ihr sein Blut zu trinken gibt, und wenn die Gaben mit Coca-Blättern bestreut sind. Sie mag es, wenn die Lamas der Herde mit bunten Bändern geschmückt sind und jeden Tag, wenn sie über die Erde schreiten, dies ihr zu Ehren tun. Dann sorgt sie für Nahrung und Fruchtbarkeit – für Leben.

Die Pachamama wird heute wie einst von den Ketschua oder Amaya in Nordargentinien, Nord-Chile, Bolivien, Peru und Ecuador verehrt. Einen Konflikt mit dem christlichen Glauben gibt es nicht, die meisten Verehrer der Pachamama sind zugleich Katholiken. Sogar in der Weltstadt Buenos Aires ist es bei vielen Menschen üblich, einen kleinen Schluck ihres Weines zu verschütten, bevor sie selbst trinken: “Erst etwas für die Pachamama!”

Die argentinische Künstlerin Teresa Pereda ist eine dieser aufgeklärten, modernen, globalisierten Personen. In ihrem Atelier in Buenos Aires sitzt sie an ihrem Laptop und bearbeitet mit dem neuesten Programm für Filmschnitt die Videos von ihrer letzten Performance. Eine, die ein so einschneidendes Erlebnis, eine so tiefe Begegnung mit der Pachamama und den sie umgebenden Ritualen war, dass Teresa vier Monate lang nicht einmal die Fotos ansehen konnte, die sie und die Künstler Charly Nijensohn und Juan Pablo Ferlat bei ihrem zwanzigtägigen Aufenthalt im Januar in der Salzwüste von Bolivien gemacht hatten.

Ausgangspunkt Ushuaia

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(Zurück-)geben statt immer nur nehmen: Teresa Pereda (links) bei der Darbringung von Erde aus verschiendenen argentinischen Provinzen in Ushuaia 2007. Rechts: René Vergara.

Im April 2007 hielt sich der in Berlin lebende, international anerkannte argentinische Video-Künstler Charly Nijensohn in Ushuaia auf, wo er sich an der “I. Bienal del Fin del Mundo” (I. Biennale am Ende der Welt) beteiligte. Teresa Peredas Beitrag zur Biennale war die Performance “Recolección en el bosque: cita en Yatana”. Diese bestand aus der “recolección”, also Sammlung, von Erde des Ortes Yatana, die Teresa Pereda von der feuerländischen Künstlerin Mónica Alvarado überreicht bekam; dann folgte die “restitución”. also Rückgabe, von Erde, die Teresa Pereda zu anderen Gelegenheiten an anderen Orten Argentiniens gesammelt (bzw. von dortigen Schamanen überreicht bekommen) hatte, an den Ort Yatana, und das Darbringen dieser Erde als Opfergabe durch Teresa Pereda und den feuerländischen Schamanen René Vergara. Bei dieser Performance verwendete Teresa auch zum ersten Mal das Wollknäuel als “Werkzeug”: 38 kg zu einem Strang gedrehte Schafswolle, die sie im Wald von Yatana ausrollte und wieder einholte.

Charly Nijensohn lud Teresa Pereda ein, mit ihm in Januar 2008 in die Salzwüste von Uyuni zu fahren, wo er unter Mithilfe des Künstlers Juan Pablo Ferlat sein Video-Projekt “El naufragio de los hombres” (Der Schiffbruch der Menschheit) verwirklichen wollte. Er hatte den besonderen Zugang gesehen, den die Künstlerin Pereda zur alteingesessenen Bevölkerung hatte und den gegenseitigen Respekt, der für die Verwirklichung ihrer Performance in Ushuaia unerlässlich gewesen war, und bat sie um Mithilfe beim Aufbau eines Kontaktes zur Bevölkerung seines Zielortes in Bolivien. Teresa bat Nijensohn im Gegenzug, dass er dort ihr Projekt “Recolección en el salar: cita en Jaruma”, später “Flores para un desierto”, dokumentieren möge.

Blumen in der Wüste

Die 20 Tage in der Salzwüste werden für die drei Künstler unvergesslich bleiben. Schon bei ihrer Ankunft hatten sie Glück: Teresa kam mit dem Taxifahrer, der sie am 7. Januar 2008 vom Flughafen abholte, ins Gespräch, und dieser stellte ihr nicht nur einen Schamanen vor, der ihr die in der Region üblichen Rituale für die Pachamama erläuterte, sondern brachte sie und die beiden anderen Künstler zu seiner umfangreichen Familie, deren Mitglieder fortan Protagonisten der beiden Kunstprojekte wurden.

Fast jeden Tag, bevor sie zum Drehen in die Salzwüste fuhren, brachten sie der Pachamama ein Opfer dar und stimmten sie milde für das Gelingen ihrer Arbeit. Sie wurden so sehr Teil der Familie, dass diese Teresa schließlich einlud, an ihrem wichtigsten Feiertag, dem 21. Januar (dem Tag des Hl. Sebastian, dem Schutzpatron der Schafe und Kamele) beim “Florear”-Ritus, dem Mit-Blumen-Schmücken der Lamas, mit ihrer Performance und ihren Gaben mitzuwirken. Bei der “Florear”-Zeremonie werden die Ohren der Lamas mit bunten Bändern geschmückt, so dass sie jedesmal, wenn sie ihren Kopf beugen, um zu fressen, der Pachamama ihre Ehrerbietung beweisen.

Am 21. Januar wurde das schönste Tier der Herde (im Falle der betreffenden Familie ein Schaf, ein weißer Hammel), geopfert und sein Blut wurde mit anderen Gaben der Pachamama dargebracht. Zu diesen Gaben gehörte auch Erde, die Teresa Pereda von verschiedenen Orten Argentiniens mitgebracht hatte, und die mit den “ofrendas” der Familie zusammen der Pachamama in der den ganzen Tag dauernden Zeremonie geopfert wurde. Darauf wurden die Lamas der Familie geschmückt. Teresa vollzog ihre Performance “Flores para un desierto”, indem sie das 40 kg schwere Schafswoll-Knäuel, das sie mitgebracht und in den vergangenen Tagen mit bunten Bändern geschmückt hatte, in der kargen Landschaft ausrollte und wieder einholte.

Die von Charly Nijensohn gefilmten Szenen der Zeremonie und der Woll-Performance geben eine Atmosphäre wieder, die fast überirdisch ist. In der Luft liegt eine ungeheure Spannung, und doch werden alle Bewegungen mit Bedacht und Langsamkeit ausgeführt. Hier gibt es keinen Selbstzweifel, kein individuelles Zaudern, sondern die jahrhundertealte Gewissheit eines Kollektivs um die Richtigkeit und den Wert jedes einzelne Details des Rituals.

Es hat die drei argentinischen Künstler sehr stark bewegt, dass sie bei einer solchen Zeremonie als gleichwertige Akteure mitwirken durften und nicht lediglich wie “Voyeure” einen alten Ritus aufgezeichnet haben. Teresa Pereda hat immer noch einen Kloß im Hals, wenn sie von dem Erlebnis erzählt und Filmauszüge oder Fotos zeigt. Aber sie ist zusammen mit Juan Pablo Ferlat jetzt fleißig dabei, die Dokumentation ihres flüchtigen Kunstwerks voranzutreiben. Sie bearbeitet Videosequenzen, wählt Bilder aus. 20 kg ihres Wollknäuels hat sie der Familie in Bolivien geschenkt, aber ein 20-kg-Knäuel, das mit vielen bunten Bändern geschmückt ist, hat sie nach Buenos Aires mitgebracht. Es steckt in einem Plastiksack und riecht etwas streng nach Naphthalin, und doch umweht es etwas von der Weite des unendlichen bolivianischen Himmels und dem heiligen Boden der Pachamama, den es berührt hat.

Als Plattform für Teresa Peredas Kunstwerk könnte man sich einen Museumssaal vorstellen, darin ein Podest, auf dem das Wollknäuel ausgestellt ist. Daneben einen Bildschirm, auf dem die Zeremonie zu sehen ist, und einen anderen mit dem Film der Performance, an den Wänden schließlich die Fotos.

Die bisherige Karriere – in einem Buch

Teresa Pereda ist bekannt im argentinischen Kunstbetrieb, und sie stammt aus einer Künstlerinnenfamilie. In ihrem Buch “Tierra”, das die bisherige Karriere der 52-Jährigen dokumentiert, findet man ein Foto aus dem Jahr 1991, das sie mit ihrer Mutter, der Künstlerin Estela Pereda, ihrer Großmutter, der Schriftstellerin und Künstlerin Estela Lacau, und ihrer Urgroßmutter Ana Laplace, die Gobelins schuf, zeigt.

Teresa ist auf dem Land großgeworden und hatte schon immer einen direkten Bezug zur Erde. Auch heute lebt sie mit ihrer Familie zwischen der Provinz und der Hauptstadt, wo ihre Kinder jetzt studieren. Das Atelier in Buenos Aires ist mehr für die “saubere” Arbeit da, für die Computerarbeit, das Synthetisieren ihres Tuns. In ihrer Werkstatt “auf dem Dorf” arbeitet sie mit den Materialen Erde, Sand, Schlamm, hier krempelt sie die Ärmel hoch und legt Hand an.

Schon seit 14 Jahren sammelt Teresa Erde in ganz Argentinien, immer im respektvollen Zusammentun mit dem jeweiligen Schamanen der Region. Sie hat diese Erde in ihre Mischtechniken oder Künstlerbücher eingearbeitet. Aber erst im Oktober 2006, als sie im Dorf Mechita, das durch die Feuer-Arbeiten des argentinischen Künstlers Juan Doffo bekannt ist, ihre erste Performance durchführte – in der sie Mechita “ein Feuer schenkte” – wurde ihr bewusst, dass ihre Arbeit von jeher eine konzeptuelle gewesen war. Ihr wurde klar, dass hier nicht ein neuer Weg war, um sich als Künstlerin weiterzuentwickeln, sondern dass dies immer schon ihr Weg gewesen war.

Das Mitte 2008 im Verlag “El Ateneo” erschienene, sehr liebevoll gemachte Buch “Tierra” hat Teresa Pereda dennoch dazu gedient, eine Art Strich unter ihre bisherige Karriere zu ziehen. Hier ist dokumentiert, was sie bisher gemacht hat, jetzt ist sie frei für neue Projekte. Und man kann allerhand von ihr erwarten.

Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 01.11.08.

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