Realitäten und Behauptungen

Wiedereröffnung der Fundación Proa mit Marcel Duchamp

Von Hanna Jochims

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Transformierte Fundación Proa. Neuer Glanz in La Boca.

Es ist nicht zu übersehen, das neue Gebäude der Fundación Proa. Strahlend weiße Fassade, spiegelnde Glasflächen, auf die der silberne Schriftzug wie aufgenietet erscheint. Ein starker Kontrast zur Umgebung: In unmittelbarer Nachbarschaft der Caminito, der in seiner bunten Folkloreverkitschtheit an eine laute, grell geschminkte Showtänzerin erinnert, die ihre besten Jahre schon lange hinter sich hat. Im Hafenbecken vor der Tür steht das brackige Wasser des Riachuelo, drum herum das Netz der Straßen von La Boca. Abseits der touristischen Pfade ist das Leben hier weder bunt noch glänzend, sondern vor allem hart.

All das erscheint beim Betreten der Fundación Proa weit entfernt. Das klare und ultramoderne Design setzt sich auch im Inneren fort. Stahl, Beton und Holz, weiße hohe Wände, jeder Winkel wirkt.

Die erste Ausstellung in diesen neuen Räumen: „Marcel Duchamp: Ein Werk, das kein ‚Kunst‘-Werk ist“. Das passt gut zueinander, die Neueröffnung und der Künstler, der mit seiner Frage „Kann man Werke schaffen, die keine ‚Kunst‘-Werke sind?“ eine neue Ära, eine Revolution des Kunstbegriffs einläutete. Mit Werken aus dem Jahr dieser grundsätzlichen Infragestellung, 1913, lässt die Kuratorin Elena Filipovic die Ausstellung beginnen.

Hat man eine Art Eingangshalle mit an die Wand projizierten Aufnahmen Marcel Duchamps passiert und betritt den zweiten Raum, weiß man zunächst gar nicht, wohin man sich wenden soll. Eine Vielzahl von Gegenständen hängt von der Decke, steht auf dem Fußboden und wird auf und an weißen, in den Raum gebauten Elementen präsentiert. Es gibt keinen vorgegebenen Weg, keine klare Chronologie. Die Art und Weise der Darstellung soll unterstreichen, wie wenig Sinn klassische Auffassungen wie Kontinuität und ästhetischer „Fortschritt“ in Bezug auf Duchamps Arbeiten machen, so Filipovic.

Trotzdem wirkt die Präsentation alles andere als chaotisch, im Gegenteil. Die Werke sind in Gruppen angeordnet: In Raum Zwei finden sich die „readymades“, Produkte aus industrieller Fertigung. Allein dadurch, dass Duchamp sie auswählte, wurden sie zu Kunstwerken. Diese Abkehr von traditionellem „Kunsthandwerk“ wird heute häufig als Beginn der Konzeptkunst gesehen.

Unter anderem zeigt die Fundación Proa Duchamps „Fountain“ – ein unter einem Synonym signiertes Urinal, mit dem er 1917 bei einer Kunstaustellung in New York für einen handfesten Skandal sorgte – und das „Roue de bicyclette“, ein auf einen Hocker montiertes Fahrradrad.

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“Readymades”.

Einen weiteren Schwerpunkt des zweiten Raumes bilden die Themen Transparenz und Perspektive. In seinen häufig auf und in Glas gestalteten Arbeiten spielt Duchamp mit den verschiedenen visuellen Dimensionen. Das Verwirren der Sehgewohnheiten zieht sich durch das gesamte Werk Duchamps.

In den 20er und 30er Jahren experimentierte er mit der Manipulation der Optik. Er fertigte verschiedene Maschinen der optischen Täuschung an, von denen einige im dritten Raum zu sehen sind. Eine weitere Täuschung: Marcel Duchamp als Frau. Als sein Alter ego Rrose Sélavy wurde er unter anderem von seinem Freund Man Ray fotografiert.

In seinem gesamten Schaffen stellte Duchamp immer wieder die Idee der Einzigartigkeit eines Kunstwerkes in Frage. Er begann, Kopien seiner und der Arbeiten anderer Künstler anzufertigen. Einige glichen dem Original exakt, an anderen nahm er kleine Veränderungen vor. Seine in diesem Zusammenhang wohl bekannteste Arbeit: Leonardo da Vincis Madonna, der er einen Schnurrbart malte. In der Zwischenzeit wiederum unzählige Male reproduziert, hängt Duchamps Madonna in den Küchen und Fluren dieser Welt.

Der letzte Raum der Ausstellung ist Marcel Duchamps Tätigkeit als Kurator und Designer gewidmet. So kreierte er unter anderem den Katalog für die Surrealismus-Ausstellung in New York (1942) und war an den Pariser Surrealismusausstellungen der 40er und 50er Jahre beteiligt. Die Präsentation schließt mit der Arbeit, mit der auch Duchamp sein Werk beschloss: „Étant donnés: 1. La chute d’eau / 2. La gaz d’eclairage“. Das Original befindet sich in Philadelphia, in Buneos Aires ist eine virtuelle Reproduktion zu sehen. Der Besucher muss sich in einem kleinen, dunklen, separaten Raum bücken und durch zwei Gucklöcher in der Wand schauen, unmöglich, sich dabei nicht wie ein Voyeur zu fühlen. Die letzten beiden Jahrzehnte seines Lebens arbeitete Duchamp im Geheimen an diesem Werk, es durfte erst nach seinem Tod der Öffentlichkeit gezeigt werden.

Die Ausstellung endet hier, das Erlebnis der Fundación Proa nicht. Es erwartet einen der schönste Raum des ganzen Gebäudes, die Bibliothek. An großen Tischen kann geblättert, gelesen, geschaut werden. Verkauft werden Kataloge der Fundación Proa, Bücher der Gegenwartskunst, Magazine, Poesie und Literatur.

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Zentraler Raum: die Bibliothek.
(Fotos: Fundación Proa)

Ein Stockwerk höher: das Café. Die Terrasse bietet einen phantastischen Ausblick auf den Hafen von La Boca und die Avellaneda-Brücke. Der Service ist sehr aufmerksam, der Kaffee und das Essen gut.

Der Besuch in der Fundación hinterlässt Eindruck. Ein toller Ort, eine großartige Ausstellung. Aber auch das Gefühl von Künstlichkeit. Es ist, als ob die betonte Offenheit, das Eingliedertsein in die Nachbarschaft nur Behauptung bleibt. Ein Sandwich für 20 Pesos zumindest werden sich die meisten Nachbarn nicht leisten können.

„Marcel Duchamp: una obra que no es una obra ‚de arte‘” ist noch bis zum 08.02.2009 in der Fundación Proa, Av. Pedro de Mendoza 1929 zu sehen und ist dienstags bis sonntags von 11-19 Uhr geöffnet. Weitere Informationen bietet die Webseite der Fundación Proa.

Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” vom 13.12.08.

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