“Man schützt nicht, was man nicht liebt”

| Off Topic | 1/6/09 | 0 comentarios

Nachtwanderung in der Reserva Ecológica Costanera Sur

Von Virginia Kirst

Res3.jpg
In der Reserva Ecológica scheint der Mond fast so hell wie tagsüber die Sonne.
(Foto: Virginia Kirst)

Den Weg zum Eingang der Reserva Ecológica Costanera Sur sollte man lieber nicht alleine gehen. Es ist zwar 19.30 Uhr und der Vollmond geht gerade auf, aber es ist düster, und düster sind auch die Gestalten, die sich vor dem Eingang herumdrücken. 120 Personen dürfen heute Abend an dem geführten nächtlichen Besuch des Reserva Ecológica Costanera Sur teilnehmen. Die Anmeldung jedoch birgt eine Hürde: Die Teilnehmeranzahl ist begrenzt. Schon zwei Stunden nach Beginn der Anmeldefrist sind keine Plätze mehr frei. Die kostenlose Führung, die ein Mal im Monat bei Vollmond stattfindet, scheint ebenso bekannt wie beliebt zu sein.

Die Besucher werden in kleinere Gruppen von etwa 20 Personen eingeteilt. Jede Gruppe bekommt einen Führer, und die Wanderung in die Dunkelheit beginnt. Hernando gibt den Teilnehmern seiner Gruppe die letzte Möglichkeit zum Umkehren: Der Ausflug ist vier Kilometer und drei Stunden lang. Niemand ändert seine Meinung und es geht los. In der Reserva Ecológica Costanera Sur scheint der Mond fast so hell wie tagsüber die Sonne. Auf den öffentlichen Wegen führt Hernando die Gruppe tiefer ins Reservat und erklärt einiges zu Flora und Fauna.

Interessant ist besonders die Entstehungsgeschichte des Gebiets: Von Anfang der 1970er Jahre stammt die Idee zu einem Landgewinnungsprojekt vor dem damaligen Balneario Costanera Sur. Balneario heißt Seebad, ein Name, der zu diesem Zeitpunkt schon überholt ist, da das Baden im Río de la Plata seit den 1950er Jahren verboten war. Auf dem durch das Projekt neu gewonnenen, zentrumsnahen Boden sollten damals Regierungsgebäude errichtet werden. 1978 wurde begonnen, das Projekt zu realisieren. Schutt, der bei der Erneuerung der urbanen Autobahnen anfiel, wurde im Fluss aufgeschüttet. Mit diesen Dämmen wurden Teile des Flusses abgetrennt. Dazwischen entstand durch Sedimentablagerungen Land. Die Maßnahmen wurden bis 1984 weitergeführt, bis schließlich, nicht zuletzt durch Geldmangel, das Projekt verworfen wurde.

Auf dem gewonnenen Boden begannen sich einheimische Pflanzen auszubreiten, deren Samen in den Sedimenten des Flusses aus den unterschiedlichsten Regionen angeschwemmt worden waren. Andere Samen gelangten mit dem Wind oder Tieren in das Gebiet. Schon nach kurzer Zeit wurde die Region von den Einwohnern der Stadt entdeckt. Neben Joggern und Radfahrern kamen auch Biologiestudenten und vor allem Vogelbeobachter, um die neu entstandene Natur zu genießen und zu untersuchen. Am 5. Juni 1984 wurde das Gebiet schließlich von der Stadt unter Naturschutz gestellt. Dank dieses Gesetzes zum Schutz des 360 Hektar großen Naturreservats besteht es bis heute, und die Artenvielfalt entwickelt sich weiter.

Hernandos Informationen sind zwar interessant, atemberaubend hingegen ist die Sicht, die einem die Natur hier bietet. In dieser Nacht hat sich eine Schicht von Nebel über die tiefer gelegenen Regionen des Reservats gelegt. Der Nebel wird vom Vollmond angestrahlt und liegt wie ein weißer, geheimnisvoller Mantel über der Landschaft. Je weiter man sich von der Großstadt entfernt, desto leiser werden die alltäglichen Geräusche. Der Lärm der Autos und des Hafens wird aber auf der Wanderung nie ganz verstummen. Langsam steigt der Mond höher und leuchtet den Weg.

Plötzlich bittet Hernando die Gruppe, eine Reihe zu bilden, und es wird spannend. Er verlässt den öffentlichen Weg und führt ins Unterholz. Der für die Öffentlichkeit verbotene Pfad kann nur in einer Ein-Mann-Reihe begangen werden und erfüllt die Erwartungen, die er suggeriert hatte. Er eröffnet den eigentlichen Reiz des Besuches. Hier ist es dunkel und geheimnisvoll, das Pampasgras ist mannshoch und verdeckt den Mond. Sogar die Jugendlichen der Gruppe scheinen sich endlich alles erzählt zu haben. Langsam gewöhnt sich das Ohr an die Geräusche der Natur. Hier und da schreckt direkt neben dem Weg ein Vogel auf und erschreckt die Besucher, so wie sie ihn erschreckt haben. In einem nahegelegenen Wäldchen legt die Gruppe dann einen lehrreichen Zwischenstopp ein. Hernando erläutert weitere Merkmale der nächtlichen Natur.

Wieder zurück auf dem öffentlichen Weg, gelangt die Gruppe an den Río de la Plata. Die Aussicht, auf das pechschwarze Wasser des Río, in welchem sich der Vollmond spiegelt, sowie auf die Stadt, die hinter den Bäumen des Reservats leuchtet, ist beeindruckend.

Auf dem Rückweg hat Hernando noch eine besondere Überraschung: Auf einem Steg, der über Grasland ragt, spielt er mit seiner Ukulele Lieder. Die Lieder handeln – wovon auch sonst – von einigen heimischen Vogelarten.

“Man schützt nicht, was man nicht liebt, und man liebt nicht, was man nicht kennt”, ist der Slogan der Internetseite der Reserva Ecológica Costanera Sur. Nach diesem Erlebnis versteht man dieses Motto. Die nächtliche Führung vermittelt einen hautnahen Eindruck von diesem Stück wiedergewonnener Natur. Das Naturreservat unmittelbar neben der Innenstadt von Buenos Aires ist ein ganz besonderer Ort und verdient Beachtung und Schutz.

Escriba un comentario