Ein Zeitreisender mit großem Herzen
Carlos Kaspar führt mit „La Yunta“ neues Stück „Mutter Courage und ihre Kinder“ auf
Von Svenja Beller
Wenn Schauspieler Carlos Kaspar von der Theatergruppe “La Yunta” spricht, dann leuchten seine eisblauen Augen.
(Foto: Svenja Beller)
“Wir Argentinier sind Nostalgiker, wir blicken immer auf die glanzvolle Vergangenheit. Statt die Realität anzupacken, machen wir Theater“, erklärt Carlos Kaspar die Lebensphilosophie seiner Landsleute. Und so macht er es auch: Er macht Theater, schon sein Leben lang. Angefangen hat er in der Theatergruppe in seiner Schule, das habe sein Leben entscheidend geprägt, seine Passion war gefunden. Er spielte in zahlreichen Filmen und Theaterstücken, den richtigen Durchbruch landete er vor fünf Jahren in der Telenovela “Resistiré”. Als seine Figur in der Sendung erschossen wurde, sprachen ihn viele Leute auf der Straße an und jammerten: “Nein, sie haben dich umgebracht!” Er hatte sich in die Herzen der Argentinier gespielt, war ein Böser, der am Ende doch noch gut wurde und der Hauptfigur zur Seite stand. Im Moment bereitet er sich auf seine Rolle in dem Thriller “Olvídame” vor. Dort spielt er einen finsteren Arzt, einen “doctor muerte”, wie er ihn nennt. Auch seine letzte Rolle in dem mexikanischen Film “La última muerte” war ein Arzt, dieses Mal aber ein guter. Sterben tut er aber in beiden Streifen. “Meistens spiele ich dunkle Rollen, da werde ich immer umgebracht”, erzählt er grinsend, er sei ans Sterben gewöhnt.
Carlos Kaspar ist ein zweiseitiges Blatt: Neben seiner eigenen Schauspielkarriere treibt er auch die Theaterzukunft anderer voran. An seiner ehemaligen deutschen Schule “Instituto Ballester” rief er vor acht Jahren die Theatergruppe “La Yunta” (Joch) ins Leben. Mit dem Namen will er betonen, dass alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Vor acht Jahren, zur Zeit der Krise, habe er seiner Schule etwas zurückgeben wollen, wollte in negativen Zeiten etwas Positives schenken. Dieses Jahr spielt die Gruppe aus Schülern, Ehemaligen, Lehrern und Eltern schon ihr siebtes Stück, das Konzept war erfolgreich. Carlos Kaspar sieht es als pädagogisches, soziales und kulturelles Projekt. Es biete die Möglichkeit, sich besser kennenzulernen, seine Fähigkeiten als Schauspieler, Regieassistent oder Maskenbildner auszutesten und etwas über seine Kultur zu lernen. Carlos Kaspar geht auf im Theaterprojekt, es sei ein gutes Gefühl, andere für das Theater zu begeistern und seiner Schule etwas zurückzugeben. „Mein Blut ist grün und weiß“, lacht er – durch seine Adern fließen die Schulfarben.
Wenn der gemütlich wirkende Deutsch-Argentinier von der „Yunta“ redet, dann leuchten seine eisblauen Augen. Er ist nicht der hochnäsige Star geworden, zu dem ihn die Filmindustrie hätte machen können. Begeistert erzählt er vom neuen Stück „Mutter Courage und ihre Kinder“. Ein zufriedenes Lächeln umspielt seine Lippen, wenn er von Grundideen, kreativen Details, Inspirationen, Musikauswahl, Besetzungen und Proben spricht. Er erzählt gerne, und obwohl er es nicht sagt, ist er stolz auf das Projekt.
„Ich glaube, Klassiker muss man immer adaptieren“, erklärt er seine Inszenierung. Seine „Mutter Courage“ kämpft im Irak um das Überleben ihrer Kinder, auch wenn das nicht plakativ deutlich wird. Die Fahnen von Protestanten und Katholiken, Uniformen, Musik – es sind Details, die auf den Ort schließen lassen. Er geht mit Bertolt Brechts Stück modern um und bezieht Probleme aus dem Hier und Jetzt mit ein. So findet die Mediatisierung in dieser Inszenierung einen großen Platz. Durch die Medien sei Gewalt etwas Alltägliches geworden, das wirke sich gravierend auf das Verhalten der Menschen aus. Die wachsende Gewaltbereitschaft mache ihm Angst, er wolle den Medien aber auch nicht die volle Schuld geben. Dennoch will er dieses Phänomen thematisieren, will aufmerksam machen auf Missstände in unserer mediatisierten Welt.
Auf der Bühne mischen sich ein Kameramann und eine Journalistin ins Kriegsgeschehen, die Aufnahmen werden auf eine Leinwand übertragen. Das trage mit zum „Verfremdungseffekt“ bei, eine Eigenschaft, die er am Brechtschen Theater liebe. Verschiedene Techniken und Kniffe vermeiden, dass der Zuschauer in das Geschehen eintaucht, wie wir es von Hollywoodfilmen kennen, bei denen man zutiefst verletzt gemeinsam mit der betrogenen Protagonistin mitheult. Dazu lässt Carlos Kaspar es in seinem Stück nicht kommen: Durch Schilder, Brüche und eine Sprecherin schafft er Distanz zwischen Zuschauer und Charakteren. So bleibe ein kritischer Blick auf die Handlung bewahrt, der Zuschauer solle sich nicht einfach mittreiben lassen. Wieder leuchten die Augen: „Ich finde Brecht faszinierend.“ In „Mutter Courage“ zeige er, wie unterschiedlich die Menschen sich in Krieg und Frieden verhalten, und diesen Faden nimmt er in seiner Inszenierung auf.
Durch seinen Beruf als Schauspieler hat er nicht immer die nötige Zeit, um die Gruppe zu betreuen. Deswegen sind die Aufgaben gut aufgeteilt, er will nicht, dass alles mit ihm steht und fällt. Um die Schauspieler-Regie kümmert sich Mercedes Sirni, die Orchesterleitung haben Federico Popoff und Margarita Huber, Kaspar selbst entwickelte die Inszenierung. Gespielt wird auf Spanisch, nur ein Fragment werde auf Deutsch sein. In dem werde die Schuldirektorin mit einer Poesie-Interpretation für einen thematischen Schnitt sorgen, ein weiterer Gehilfe des Verfremdungseffektes. Für Carlos Kaspar ist es wichtig, dass immer ein Stück deutsche Kultur transportiert wird. Er will die Kultur und Geschichte weitergeben, viele Schüler würden ihre Wurzeln in Deutschland ja nur aus Erzählungen kennen.
„Ich bin ein Fanatiker der Geschichte“, gibt er lachend zu. Er lese viel, krieche gerne weit und immer weiter in die Welten der Vergangenheit. Er suche nach Gründen. Gründen für Entscheidungen, Kriege, Frieden, für die Verstrickungen der Zeit. Sein Großvater sei im Krieg gefallen – für ihn ein Grund, in die Vergangenheit zu blicken. Er begann schon früh, sich für die Geschichte um das Leben des Mannes zu interessieren, den er kaum kennenlernen durfte. Von Spielkameraden in den Straßen von Buenos Aires wurde er Nazi genannt, „Mami, was ist ein Nazi?“ Die erklärenden Worte der Mutter wurden bald durch dicke Bücher über den Zweiten Weltkrieg abgelöst, in denen er Antworten auf seine Fragen fand. „Mit dem Theater kann ich in der Geschichte reisen und mit der Phantasie spielen“, erklärt Carlos Kaspar seine Begeisterung für die Schauspielerei, „es gibt mir die Möglichkeit, in einem Leben mit vielen Leben zu experimentieren.“
„Mutter Courage und ihre Kinder“ feiert seine Premiere am 13. Juni in der Aula Magna des “Instituto Ballester”. Weitere Aufführungen sind am 14., 20., 21., 27. und 28. Juni und am 4. und 5. Juli, samstags um 20 Uhr und sonntags um 19 Uhr.