Die Stadt mit ihren tausend Gesichtern

Fünf deutsche Künstler stellen in der „Fundación Proa“ zum Thema „Stadt“ aus

Von Svenja Beller

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Monumentalansichten üben eine Faszination auf Andreas Gursky aus, hier “Hongkong, Grand Hyatt Park” (1994).

Das Oberthema ist “Urbane Räume”, doch die Interpretationen könnten unterschiedlicher kaum sein. Man findet sich vor riesigen Menschenmengen, betritt Theater und Bibliotheken, blickt in menschenleere Straßen oder bestaunt atemberaubende Panoramen. Fünf Künstler – Fünf Blickwinkel. Eines haben sie alle gemeinsam: ihre Wurzeln. Die Fotografen, die hinter den Interpretationen stecken, sind alle fünf ehemalige Schüler von Bernd und Hilla Becher, sie lernten den ästhetischen Umgang mit der Kamera an der Kunstakademie Düsseldorf. Heute haben sie sich alle einen Namen gemacht: Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Ruff und Thomas Struth. Die Kunststiftung “Proa” lud die deutschen Künstler nach La Boca ein, um dort gemeinsam auszustellen. Vom 30. Mai bis Ende Juli hauchen die Fotografien den Ausstellungsräumen von “Proa” urbanes Leben ein.

Doch was lenkte den Blick der Porteños den weiten Weg nach Düsseldorf? Genauer genommen war es der Blick von Kurator Luduvico Pratesi, der nach Deutschland schweifte. “Vor einigen Jahren begann ich mich für die Evolution der zeitgenössischen Fotografie in Deutschland zu interessieren”, erklärt der Fotografie-Experte seine Idee zur Ausstellung in einem Interview mit “Proa”. Da sei er auf die Düsseldorfer Akademie aufmerksam geworden, der Schritt zu den fünf Fotografen lag nahe. Also lud er die ehemaligen Mitschüler ein, die Evolution “der Stadt” durch eine Auswahl ihrer Werke zu analysieren. Aus einem gemeinsamen Dialog zwischen Deutschland und Buenos Aires entstand schließlich die Auswahl von 45 Werken, die heute in der Stiftung in La Boca ausgestellt sind. Sie decken eine Zeitspanne von den achtziger Jahren bis heute ab, und zeigen so neben modernen Eindrücken auch längst vergangene Einblicke in urbane Plätze. Es ist das erste Mal, dass die fünf Künstler gemeinsam zu einem Oberthema eingeladen sind, doch die Ausstellung zeigt: Es war eine gute Idee.

In Saal 1 sind alle Künstler vertreten, die Werke sind aus den Achtzigern, aus der Zeit, als die Fotografen noch Schüler an der Düsseldorfer Akademie waren. Hier zeigen sich die verschiedenen Interpretationsansätze des Themas “Urbane Räume”. Zu Beginn ähnelten sich die Künstler aber noch deutlich mehr in ihren Werken als in späteren Jahren, in denen jeder seinen eigenen Weg ging. Der Einfluss vom damaligen Professor Bernd Becher ist in ihren jungen Bildern noch am stärksten zu spüren, er wird sich später mehr und mehr verlieren und dem eigenen Stil des Künstlers weichen.

Saal 2 teilen sich Thomas Struth und Andreas Gursky. Blickfang sind hier die zwei Menschenmengen „May Day 4“ und „Tote Hosen“, aufgenommen von Gursky im Millennium-Jahr, ersteres gehört zu seinen berühmtesten Werken. Er montierte mehrere Fotos nebeneinander und überarbeitete die Farbgebung, um den monumentalen Eindruck zu erreichen. Im Fokus ist das Kollektiv, das Individuum als Teil einer enormen Masse. Die Werke Struths stehen in starkem Kontrast zu denen seines ehemaligen Mitschülers: Gebäude dominieren bei ihm die Bildfläche. Lima, Paris, Las Vegas, Schanghai, Hongkong – eine fotografische Reise durch die Metropolen der Erde.

Der nächste Saal gebührt der einzigen Dame der Runde: Candida Höfer. Sie hatte als einzige Buenos Aires fotografisch eingefangen, deswegen schenkte „Proa“ der Künstlerin einen Raum ganz für sich. Begeisterten sich ihre männlichen Kollegen mehr für die Außenansichten von Gebäuden und Städten, so stößt sie die Türen auf zu Theatern, Museen, Kathedralen und Bibliotheken. Sie setzt vor allem auf Symmetrie, hält penibel aufgereihte Stuhlreihen und Gedecke fest. In Buenos Aires richtete sie ihre Linse unter anderem auf das Innere des Kongresses, des Regierungsgebäudes „Casa Rosada“ und des Theaters San Martín.

Im letzten Raum, Saal 4, hängen die Werke von Thomas Ruff und Axel Hütte. Die Londoner Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Hütte strahlen fast ein wenig Tristesse aus und zeigen ungewohnte Einblicke in die Hauptstadt Englands. Faszinierend magisch sind seine Nachtfotografien aus Las Vegas und Minneapolis. Er druckte die Bilder auf einen Spezialfilm und setzte sie vor eine reflektierende Oberfläche, was eine unglaubliche Farbintensität und Tiefe zur Folge hat. Sein Kollege Ruff beeindruckt ebenfalls mit technischen Kniffen. Eine völlig verpixelte Gartenaufnahme lässt den Betrachter auf und ab laufen: von Nahem bunte Quader, von fern Bäume, Wiese und Pflanzen. Seine Collage „Plakat 3“ aus den Jahren 1996/97 thematisiert den Umzug Helmut Kohls von Bonn nach Berlin auf groteske Weise. Kopflos und mit den Füßen in der Luft steckt der ehemalige Bundeskanzler in der Skyline bedeutender Metropolen, ein politisch kritischer Tonfall ist schwer zu übersehen.

Die fünf Fotografen zeigen die Vielseitigkeit der Stadt, und die verschiedenen Möglichkeiten, sich ihr anzunähern.

  • Fundación Proa, Av. Pedro de Mendoza 1929. La Boca. Di-So 11-19 Uhr. Eintritt: 10 Pesos. Infos hier.

Filmreihe “Stadt und Subjekivität”

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Ausblick von der Fundación Proa.

Anlässlich der Ausstellung “Urbane Räume” in der Fundación Proa stellt die vom Goethe-Institut unter der Schirmherrschaft von Robert Bosch Argentina Industrial S.A. präsentierte Filmreihe “Stadt und Subjektivität” eine Serie von subjektiven Betrachtungsweisen zur Stadt vor, von Fiktion bis hin zu Dokumentation und Experimentalfilm. Die von Rubén Guzmán koordinierte Filmreihe findet vom heutigen Samstag, 20. Juni, bis Sonntag, 19. Juli, samstags, sonntags und feiertags um 15.30 und 17.30 Uhr im Auditorium der Fundación Proa, Av. Pedro de Mendoza 1929, La Boca, statt. Eintritt: 5 Pesos pro Vorstellung.

Die Ausstellung “Urbane Räume” versucht, die Entwicklung von Stadtkonzepten in der zeitgenössischen Kultur durch die Ideen und Bilder der fünf Fotografen Thomas Struth, Axel Hütte, Andreas Gursky, Thomas Ruff und Candida Höfer, die zu den einflussreichsten Künstlern in Deutschland zählen, zu analysieren.

Der begleitende Filmzyklus “Stadt und Subjektivität” beinhaltet unter anderem Arbeiten von Guy Maddin, Alexander Kluge, Rosa von Praunheim, Peter Kahane und Mario Chierico.

Künstlergespräche und Diskussionen im Beisein von Rubén Guzmán und einem der speziell hierzu eingeladenen deutschen Fotografen begleiten das Programm.

Juni
20.6., 15:30 Uhr: Programm 4; 17.30 Uhr: Programm 5.
21.6., 15.30 Uhr: Programm 6; 17.30 Uhr: Programm 7.
27.6. 15.30 Uhr: Programm 3; 17.30 Uhr: Programm 4.
28.6.: keine Vorstellung wegen der Wahlen.
Juli
4.7., 15.30 Uhr: Programm 5; 17.30 Uhr: Programm 1.
5.7., 15.30 Uhr: Programm 7; 17.30 Uhr: Programm 1.
9.7., 15.30 Uhr: Programm 1; 17.30 Uhr: Programm 3.
11.7., 15.30 Uhr: Programm 5; 17.30 Uhr: Programm 4.
12.7., 15.30 Uhr: Programm 6; 17.30 Uhr: Programm 3.
18.7., 15.30 Uhr: Programm 1; 17.30 Uhr: Programm 4.
19.7., 15.30 Uhr: Runder Tisch (Anmeldung erforderlich), danach Programm 2.

Programm 1: “Mi Winnipeg” (My Winnipeg) von Guy Maddin, Kanada, 2007, 80 Min.
Programm 2: “La Plata: Arquitectura, Urbanidad” von Mario Chierico, Argentinien, 1997, 9 Min.; “Ciudad Moderna” von Terence Gower, Kanada, 2004, 6 Min.; “Vacante” (Vacancy) von Matthias Müller, Deutschland, 1998, 14 Min.; “En Construcción” (Under Construction) von Zhenchen Liu, Frankreich, 2007, 10 Min.; “Sin Daño” (No Damage) von Caspar Stracke, Deutschland, 2002, 13 Min.; “Suburbio del Vacío” (Banlieue du Vide) von Thomas Köner, Deutschland, 2004, 12 Min.; “Das Schlafende Mädchen” (La Muchacha Durmiente) von Corina Schnitt, Deutschland, 2001, 9 Min.
Programm 3: “Howrah Howrah” von Till Passow, Deutschland/Indien, 2001, 26 Min.; “Un Miércoles Noche en Tokio”, von Jan Verbeek, Deutschland/Japan, 2004, 6 Min.; “Miradas Supervivientes” (Sguardi Superstiti) von Marco Pasquini, Italien, 2007, 30 Min.
Programm 4: “Berlin – Die Sinfonie der Großstadt” (Berlín, Sinfonía de una Gran Ciudad) von Walter Ruttmann, Deutschland, 1927, 65 Min.
Programm 5: “Brutalität in Stein” (Brutalidad en Piedra) von Alexander Kluge, Deutschland, 1960, 12 Min.; “Die Mauer” (El Muro) von Jürgen Böttcher, Deutschland, 1990, 96 Min.
Programm 6: “Die Architekten” (Los arquitectos) von Peter Kahane, Deutschland, 1990, 97 Min.
Programm 7: “Überleben in New York” (Sobrevivir en Nueva York) von Rosa von Praunheim, Deutschland, 1989, 90 Min.

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