Form gewordene Poesie

Skulpturenausstellung “Infinito” von Edgardo Madanes bei Elsi del Río

Von Susanne Franz

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Die Arbeit mit den Händen erlaubt ihm das Denken, das Meditieren. In der Stille spürt er den unmittelbaren Kontakt mit seinem Werk. In seinen Gedanken nimmt es Gestalt an; das handwerkliche Tun – das Biegen, Flechten, Verknüpfen – lenkt wiederum seine Gedanken. Das Manuelle wird zum Spirituellen und umgekehrt: Aus diesem Prozess, dem Dialog zwischen Händen und Kopf, entsteht das Werk von Edgardo Madanes.

Er nimmt dafür von dem, was die Natur reichlich zu bieten hat: Madanes arbeitet mit Korbruten aus dem Tigre-Delta. Einmal im Jahr müssen diese geschnitten werden, damit die Weiden wieder wachsen können – und nach jedem Schneiden wachsen mehr Triebe als zuvor. Die Gewinnung des natürlichen Materials, das der Künstler verwendet, zerstört somit kein kostbares Naturgut, sondern multipliziert Leben.

Kein Geringerer als der ehemalige Präsident und Vorreiter des argentinischen Bildungswesens Domingo Faustino Sarmiento (1811-1888) siedelte die Weide im Tigre-Delta an; die Korbflechterei wurde hier zuerst von europäischen Einwanderern betrieben und ist bis heute ein wichtiger Geschäftszweig der Insulaner des Deltas.

Der Künstler und Kunstdozent Edgardo Madanes arbeitete als Schüler des renommierten Bildhauers Juan Carlos Distéfano zunächst in dessen Tradition mit Polyestermasse, aus der er Pflanzen und Phantasie-Tiergestalten modellierte. Die Bilder stammten aus dem Tigre-Delta, wo der Porteño seit seiner frühen Jugend rudert und seine Freizeit verbringt. Die eher zufällige Entdeckung “seines” Materials war wie eine logische Konsequenz: “Erst holte ich von dem Ort, der mir innere Nahrung gibt, meine Bilder, jetzt schneide ich im übertragenen Sinne mein Material aus ihm heraus.” Ungefähr im Jahr 1990 geschah dies, und die Liebe und Faszination für seinen Werkstoff ist bis heute geblieben – wobei Madanes strikte Auswahlkriterien hat, wenn es dazu kommt, “wer” in sein Werk aufgenommen wird.

Jede einzelne der zwei bis vier Meter langen Korbruten, die er verwendet, “hat etwas zu erzählen”, sagt er; trotz der großen Ähnlichkeit, die alle miteinander haben, sei jede ein Individuum. Madanes wählt die, die er für sein Werk haben will, mit Bedacht aus. Bewusst “marginalisiert” er diejenigen, die nicht in das Gefüge passen. “Meine Konstruktion des Werks ist eine soziale Konstruktion”, betont er, und macht damit verständlich, warum seine Werke wie Lebewesen wirken – oder eher wie Lebenssysteme, in denen das Individuum dem größeren Ganzen untergeordnet ist – wobei es aber gleichzeitig unabdingbarer Teil des Ganzen ist.

Madanes, der seine Werke nur selten, in Abständen von vielen Jahren, der Öffentlichkeit präsentiert, schuf mit seinem neuen Material zunächst netzartige Skulpturen (“Redes”), die er Mitte der 90er Jahre vorstellte. Er komponierte eine Welt, die die des Tigre-Deltas widerspiegelte, “und da herrschen ganz andere Mechanismen des Überlebens als in der Stadt”, sagt er. Viele Dinge sind “aufgehängt” (Boote etc.) oder stehen auf Stöcken, alles schwimmt oder treibt im Wasser – “diese Schaukelbewegung des Wassers beherrscht irgendwie alles”.

Das Schwimmen und das Ankern als wichtige Grund-Elemente im Leben des Deltas flossen in Madanes’ Raum-Installation “Presente” ein, die er im Jahr 2001 im Centro Cultural Recoleta zeigte. An dicken Kabeln hingen von der Decke große, tropfenförmige, aus Korbruten geflochtene Netze, die an schweren Granitblöcken am Boden verankert waren. Eine ungeheure Spannung entstand in diesem unwirklichen Raum aus der Tatsache, dass die anscheinend doch leichten Flecht-Objekte mit solch extremen Gewichten am Boden gehalten werden mussten. Das Gewicht der Netze resultierte für Madanes aus der Leere in ihrem Inneren.

Edgardo Madanes’ jüngste Ausstellung “Infinito”, mit der am Montagabend die Galerie Elsi del Río in Palermo ihren neuen Sitz einweihte, zeigt den Künstler auf einem neuen Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn. Hatten seine “Netzwerke” bislang eine Komponente der sozialen Reflexion, sind nun Introspektion und “ein Bedürfnis in mir, zur Ruhe zu kommen” an diese Stelle getreten. “Es ist, als ob der Redefluss versiegt sei”, sagt der Künstler, “an seine Stelle tritt nun Poesie, die Form angenommen hat” – die Form seiner Werke.

Madanes’ “Zeichnungen im Raum” sind reine Bewegung, “ein Tanz, den ich im Raum erschaffe”, sagt der Künstler. Mit einer einzigen unendlichen Linie entführt Madanes auch den Blick des Betrachters in den unendlichen Raum. “Wenn mein Werk früher eher die Bewegung des Wassers widerspiegelte, ist es heute das Schweben im Raum”, beschreibt Madanes den stärkeren Bezug zum Kosmischen, den sein Werk heute hat.

Das nächste Ziel sind riesige Formate, auch eine Ausstellungsfläche dafür ist für diesen Sommer schon in Sicht: Die Direktorin des schönen “Museo de Arte de Tigre” (MAT), Diana Saiegh, hat die Museumsgärten dafür in Aussicht gestellt. Könnte es einen besseren Ort geben? Außerdem verhandelt Edgardo Madanes’ Galerist Fernando Entín von Elsi del Río mit einer Galerie in Sao Paulo.

Zunächst aber ist die Ausstellung “Infinito” bei Elsi del Río noch bis zum 31. Oktober zu sehen. An den 5,40 Meter hohen Wänden der neuen Galerie sind die Werke Madanes’ sparsam montiert, und die Schatten, die sie dank der raffinierten Beleuchtung werfen, heben ihre Dramatik und konzentrierte Energie noch stärker hervor.

Anlässlich der “Semana del Arte” in der kommenden Woche ist bei Elsi del Río für den 23. September, an dem in Palermo die “Gallery Night” stattfindet, um 20 Uhr ein Klavierkonzert geplant, in dessen Rahmen Norma Lado die “Gymnopédie” von Erik Satie spielt.

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