Warhol auf der Couch

Die Ausstellung “Mr. America” im Malba zeigt die weltbekannten Werke Andy Warhols aus psychoanalytischer Sicht

Von Maria Exner

warhol11.jpgKeiner geringeren Institution als dem amerikanischen Außenministerium hat Argentinien seine erste umfassende Andy Warhol-Retrospektive zu verdanken. Der kanadische Kurator Philip Larratt-Smith hatte die Ausstellung “Mr. America” ursprünglich konzipiert, um sie in Kuba zu zeigen, wo der 29-Jährige in den vergangenen Jahren bereits die Werke von Louise Bourgeois und Robert Mapplethorpe präsentierte. Doch das US-Außenministerium wollte die Ausreise der ungleich bekannteren Warhol-Bilder in Richtung Havanna nicht genehmigen. Also beschloss Larratt-Smith, solange mit “Mr. America” durch Lateinamerika zu reisen, bis die Behörde von Hillary Clinton es sich anders überlegt und die Chance zum interkulturellen Austausch zwischen Kuba und den USA, den der Ausstellungsmacher anstoßen will, doch noch nutzt.

Des einen Leid, des anderen Freud: Nach Bogotá macht “Mr. America” jetzt also in Buenos Aires Station – mit mehr als 170 Werken des Multitalents Warhol, darunter Ikonen wie die Marilyn-Reihe und das Porträt Mao Tse-Tungs. Gemälde, Drucke, Fotografien, Filme und Installationen hat Larratt-Smith zusammengestellt, um das lateinamerikanische Publikum die nordamerikanische Alltagskultur der 60er, 70er und 80er Jahre durch die Augen des Begründers der Pop Art sehen und verstehen zu lassen.

Nun läuft jeder Kurator einer Andy Warhol-Ausstellung Gefahr, weder besonders viel falsch, noch besonders viel richtig zu machen. Bilder wie “Campbells Soup” sind ein fester Bestandteil des globalen Bildgedächtnisses. Dem Publikum eine neue, überraschende Perspektive darauf zu ermöglichen, ist eine schwierige Mission. Doch Philip Larratt-Smith gelingt sie, indem er die Bilder in direkten Zusammenhang mit der Biografie und Persönlichkeit Warhols bringt. Dem Kulturmagazin “Ñ” sagte Larratt-Smith: “Aus meiner Sicht sind Andy Warhols Kunstwerke eng mit seiner Psyche verknüpft. Alles was er tat, die Motive, die mechanische Reproduktion seiner Bilder, hängt mit seinem Wunsch zusammen, eine neue Persönlichkeit für sich zu kreieren.”

Entsprechend zeigt “Mr. America”, wie Warhol durch das “Künstlersein” die beiden prägenden Defizite seiner Person auszumerzen suchte: seine Herkunft als Kind einer armen, osteuropäischen Einwandererfamilie und seine von ihm selbst als solche empfundene Hässlichkeit. Ersteres kompensierte er durch die Reproduktion all dessen, was das Selbstbild der Amerikaner prägte: die Tomatensuppe der Arbeiterfamilien, Präsident John F. Kennedy, Hollywoodstars wie Marilyn Monroe und James Dean, das christliche Kreuz, Dollar-Noten, die Feindbilder Stalin und Mao. All diese Bilder fluteten damals aus den Fernsehern in die Wohnzimmer und Köpfe der Amerikaner. Warhol hat sie sich durch seine Kunst zu Teilen seiner Identität gemacht und jetzt hängen sie an den Wänden des Malba und öffnen dem argentinischen Betrachter den Blick auf die Kultur des Landes, das soviel Einfluss auf Lateinamerika ausübt.

Um den Makel, selbst nicht mit einem attraktiven Körper gesegnet zu sein, aufzuheben, scharte Andy Warhol zu Lebzeiten die Schrägen und die Glamourösen um sich, allen voran seine Muse und Hauptdarstellerin Edie Sedgwick. Und die Anziehungskraft von Warhol ist auch heute ungebrochen. Bei der Eröffnung der Ausstellung quoll das Malba förmlich über vor langbeinigen Schönheiten und exzentrisch gekleideten Bohemiens. Künstler, Galeristen, Journalisten und Warhol-Fans drängelten sich durch den Rundgang im 2. Stock des Museums und waren erleichtert, im Saal auf der 1. Etage etwas mehr Platz zum Betrachten der Foto-Porträts berühmter Warholfreunde und der zerbrechlichen Edie Sedgwick auf Celluloid zu finden.

Kurator Philip Larrat-Smith schien mit dem Ansturm auf seinen “Mr. America” zufrieden zu sein. Geduldig gab er Feuilletonisten und Fernsehteams ein Interview nach dem anderen und wird so wohl nachhaltig zum Erfolg seiner Ausstellung in Buenos Aires beitragen. Sein Gegenüber Thomas Sokolowski, Direktor des Andy Warhol Museums in Pittsburgh, belohnte die Presse für ihr zahlreiches Erscheinen mit einem besonderen Bonmot: Hätte Andy Warhol ein Bild über Argentinien gemalt, so Sokolowski, dann hätte es wohl Eva Perón gezeigt. Wie Warhol verstand sie schließlich der Masse zu geben, was sie sich wünschte, und so von ganz unten nach ganz oben zu kommen.

  • Malba, Av. F. Alcorta 3415, Do-Mo und feiertags 12-20 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr, dienstags geschlossen. Eintritt 15 Pesos, Lehrer und Rentner 8 Pesos, Studenten 5 Pesos. Mittwochs: Eintritt 5 Pesos, Lehrer und Rentner 3 Pesos, Studenten gratis. Schauen Sie auch die Microsite Andy Warhol an.

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