Freigeist der Musik

Zum Tode von Ariel Ramírez

Von Valerie Thurner

Ramirez11.jpgAriel Ramírez, einer der bedeutendsten Komponisten und Pianisten Argentiniens, ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Er hinterließ ein umfangreiches Lebenswerk; musikalische Zeugnisse eines inspirierten und neugierigen Geistes, der nicht in wertenden Kategorien von Hoch- und Populärkultur dachte.

Ariel Ramírez hatte klassische Musik studiert und sich bereits in jungen Jahren für lateinamerikanische Folklore interessiert. Während seine Zeitgenossen den Tango zelebrierten, reiste er in den Nordwesten, um sich indianischer und kreolischer Volksmusik zuzuwenden. Er gilt als der Wegbereiter, das Klavier als Instrument der Folklore zu etablieren. Sein Schaffen beinhaltet Vokalwerke und Kantanten, viele davon auf Texte des bedeutenden Dichters Félix Luna bezogen, folkloristische Kompositionen, aber auch liturgische Werke, die ihn vor allem in Europa berühmt und beliebt machten.

Ein Weltenbürger

Geboren und aufgewachsen in Santa Fe als Sohn einer Familie des Bildungsbürgertums, genoss Ariel Ramírez eine klassische Ausbildung in Córdoba. Auf Anraten des Dichters Atahualpa Yupanqui bereiste er 1941 die Provinzen Tucumán, Salta und Jujuy und lernte in Humahuaca den Musiker und Kenner der nationalen Kultur Justiniano Torres Aparicio kennen, der ihn in die volkstümliche Musik einführte.

1946 begann seine Karriere als Pianist. Er war als Konzertmusiker tätig und arbeitete fur Film und Radio, was ihn bereits 1950 für vier Jahre nach Europa brachte, wo er vor allem in Rom wohnhaft war. Seine erste große Europatournee öffnete ihm die Pforten zu den wichtigsten Spielstätten klassischer Musik. Er war ein klassischer Pianist, der sich nicht groß für die Avantgarde interessierte, der rechten Hand das Spiel unprätenziöser Melodien überließ, während die Linke die Akkorde übernahm.

1954 zog er nach Lima in Peru und komponierte eine Reihe von volkstümlicher Musik aus den südamerikanischen Ländern (heute würde man sie wohl unter dem Begriff „World Music“ kategorisieren) und gründete 1955 die „Compañía de Folklore Ariel Ramírez“. Der Musiker verstand sich darauf, in seinen Kompositionen den Melodien der traditionellen Kulturen Argentiniens und der Nachbarländer in ihrer Ursprünglichkeit zu belassen und erkannte den guten Geschmack und die Qualität der Tänze der Andenvölker. So brachte er einem Publikum fernab jedes Ethnokitsches die lateinamerikanische Kultur in ihrer Ursprünglichkeit näher.

Sein Werk „Esto es Folklore“ wurde bei seiner Uraufführung 1964 in Buenos Aires von der Kritik mit Begeisterung aufgenommen. Die Tageszeitung „Clarín“ schrieb, dass dieses Werk ihm die Türen öffnete zum Geschmack der Porteños, und „La Nación“ sah Schönheit und Authentizität in sich vereint.

Die „Misa Criolla“

Ariel Ramírez‘ wohl berühmtestes und weltweit am meisten verbreitetes Werk ist die „Misa Criolla“, ein liturgisches Werk, das ihm im Zusammenhang mit einer Europatournee von 1967 sogar eine Privataudienz beim Papst verschaffte. Er schien alle Widersprüche in seinem Schaffen vereint zu haben, und alle mochten ihn. Da sucht man vergeblich nach einem Haken. Ramírez mischte afrikanische Rhythmen mit gregorianischen Klängen, schaffte den Spagat zwischen traditionell katholischem Erbe und der Kultur der in Lateinamerika beheimateten Völker.

Während beispielsweise der Jazz noch bis weit in die 60er Jahre beim Bürgertum verpönt geblieben war, hörte man aufmerksam Ramirez’ Werke. Komponist Ramírez, der nicht zwischen „High“ und „Low“ zu unterscheiden pflegte, was damals eher die Norm als die Ausnahme war, war spontan und doch nicht vulgär, religiös, aber nicht dogmatisch, volksnah und klassisch, und immer ließ er der traditionellen Volksmusik ihre Würde. Vielleicht ist die These etwas gewagt, aber das bürgerliche Europa mochte sich eher grenzgängerischer Kunst aus dem fernen Lateinamerika zuwenden als sich der Populärkultur der Nachkriegsjugend zu öffnen.

Ariel Ramírez war auch in seinem institutionellen Engagement ein Mittler zwischen Kulturen. Er war der erste lateinamerikanische Präsident der CISAC

Sein pädagogischer Impetus brachte ein Erbe von zahlreichen Kompositionen für den musikalischen Unterricht und Chorwerke. Die Weihnachtskantante „Navidad nuestra“, die Ramírez und Luna zusammen 1963 geschrieben hatten und von Künstlern wie Mercedes Sosa oder José Carreras interpretiert wurde, ist nach wie vor bei lateinamerikanischen Laienchören sehr beliebt.

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