Meisterwerk in Schwarz-Weiß

“Das weiße Band” von Michael Haneke läuft heute in Buenos Aires an

Von Valerie Thurner

dasweisseband11.jpgDer österreichische Filmemacher Michael Haneke zählt zu denjenigen, deren Ehrung von seiten Hollywoods längst überfällig gewesen wäre, doch er musste die Auszeichnung für den besten ausländischen Film Juan José Campanellas “El secreto de sus ojos” überlassen. Während der US-amerikanische Schauspieler Jeff Bridges Anfang März endlich mit einem längst verdienten Oscar für seine chronisch unterschätzte Präzisionsarbeit ausgezeichnet wurde, so ist auch Michael Haneke ein Künstler der Feinarbeit und des Understatements, bekannt für seine unbequemen und verstörenden Spielfilme (“Funny Games”, “Die Klavierspielerin”, “Cache”). Sein beklemmendes Drama “Das weiße Band” beweist wie die Schauspielkunst eines Jeff Bridges, dass weniger oft mehr ist.

Von der Produktion als deutsche Kindergeschichte etikettiert, ist “Das weiße Band” ein Horrorfilm ohne Horrorbilder mit Schauplatz des dörflichen Landlebens im protestantischen Norden Deutschlands. Es spielt im Jahr 1913/14, am Vorabend des ersten Weltkriegs. Inmitten des ländlichen Alltags entfacht sich eine grausame Serie von mysteriösen Ereignissen, bei denen Personen zu Schaden kommen. Erzählt wird die Geschichte in zurückblickender Perspektive des Dorflehrers mit Erzählstimme aus dem Off. Das Drama beginnt mit einem Reitunfall des Dorfarztes, der durch eine gespannte Schnur in gestrecktem Galopp zu Fall kommt. Doch wer steckt dahinter?

Keime des Terrors

Während die Dorfgemeinde den Gesängen des Kinderchores lauscht, garen Verdächtigungen, und es geschehen weitere tödliche Arbeitsunfälle. Es herrscht ein bedrückendes Klima der Brutalität sowie des latenten Misstrauens. Die Geschehnisse nehmen bald die Form von rituellen Kollektivbestrafungen an. Und inmitten dieses von Hass, Ekel und Triebverzicht geprägten Dorflebens stehen die Kinder. Aber sind sie auch unschuldig, nur weil sie Kinder sind? Haneke sprach sich bereits in seinem Film “Funny Games” gegen den Mythos der kindlichen Unschuld aus. Er zeigt uns keine Bilder von ausgelassenen, selbstvergessenen Kinderspielen, sondern von misstrauisch herumstehenden, furchteinflößenden Gruppen, von flüsternden Verschwörungsszenarien.

Obwohl – einmal erschallt doch kurz eine kindliche Freudenbekundung. Ausgerechnet in jener Szene, in der der Bauer gefunden wird, der sich aus Verzweiflung in seinem Stall erhängt hat.

Authentizität in Schwarzweiß

Und das “Weiße Band” erzählt mit einer distanzierten Schwarzweiß-Fotografie. Der Film ist mutig in seiner schlichten Ästhetik und präzisen Wahl von filmischen Mitteln. Statische Kamera, nur Originalmusik, lebt die Entwicklung der Geschichte von der schauspielerischen Leistung. Die Wahl, in Schwarzweiß zu drehen, wurde von der Produktion und den Verleihern erst nicht mit Begeisterung aufgenommen. Haneke argumentiert jedoch überzeugend mit der Tatsache, dass wir die Geschichte der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts aussschließlich in Schwarzweiß kennen, was dem Film eine untrügerische Authentizität verleiht, außerdem meidet er so die falsche Illusion von Naturalismus.

Den Darstellern ist viel Raum zur Entfaltung ihres Könnens gegeben. Aber vergleichbar mit Jeff Bridges’ Stil sind es keine exzessiven Körpereinsätze, sondern bewusst reduziert, um im richtigen Moment sich gehen zu lassen. Die Protagonisten werden von bisher eher unbekannten Darstellern verkörpert, die alle hauptsächlich vom Theater kommen.

Nicht nur deutsches Thema

Die Bedeutung des Films liegt nicht nur in seiner dramaturgisch und ästhetischen Gekonntheit, sondern trägt eine klar humanistische Botschaft, wobei sich Haneke davon distanziert, ausschließlich auf die deutsche Geschichte Bezug zu nehmen, wenn auch die Wahl der historischen Verortung nicht zufällig war. Die Annahme scheint berechtigt, dass eben diese Kinder sich 20 oder 30 Jahren später in braunen Uniformen zusammenrotten. So meinte Haneke in einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger im Oktober des Vorjahres, dass er vermeiden möchte, “dass die Ausländer sagen: Das betrifft ja nur die Deutschen. Wenn ich in Deutschland bin, werde ich schon insistieren, dass es ein deutsches Thema ist.” Die Keime des Bösen finden ihren nährenden Boden in obrigkeitsgläubigen und prinzipientreuen Gesellschaften. Sobald Prinzipien wie in diesem Fall der protestantische Reinheitsdrang und Triebverzicht absolut werden, wird es unmenschlich. Der gesellschaftliche und ideologische Rahmen kann aber beliebig sein, islamischer Fundamentalismus oder politische Ideologie, sie alle führen am Ende in eine unmenschliche Kontrollgesellschaft, zu Misstrauen, Folter und Verfolgung.

Die Kameraarbeit ist ebenso asketisch wie das Klima im Dorf. Es gibt praktisch keine schnellen Schnitte von Halbtotalen auf Nahaufnahmen, keine rasenden Bewegungen oder Schwenks. Keine Schnitte in media res von Bluttaten. In Hanekes Filmen findet Gewalt immer im Off statt, was zusätzlich mit der Phantasie des Zuschauers spielt, die in einen beklemmenden Bann gezogen werden. Entscheidend ist, was man nicht sieht. Die Ahnung drückt umso böser.

  • “Das Weiße Band” – Deutschland 2009. 154 Min. Buch und Regie: Michael Haneke. Mit Christian Friedel, Ernst Jacobi, Leonie Benesch.

dasweisseband1.jpg

Escriba un comentario