Intellektuelles Abenteuer Romantik

Rüdiger Safranski stellte auf der Buchmesse sein Buch zum Thema vor

Von Marcus Christoph

safranski11.jpg“Sollen wir es wagen, die kleine Insel der Rationalität zu verlassen und auf den Ozean des Irrationalen und Unerkennbaren hinauszufahren?” Mit dieser, an ein Zitat von Immanuel Kant angelehnten Fragestellung stimmte Rüdiger Safranski seine zahlreichen Zuhörer auf das intellektuelle Abenteuer ein, sich mit der Epoche der Romantik auseinanderzusetzen. Der deutsche Publizist und Philosoph war auf Einladung des Goethe-Instituts bei der 36. Internationalen Buchmesse in Buenos Aires zu Gast, um im Gespräch mit dem Kulturredakteur Pablo Gianera (“La Nación”) sein Buch “Romantik – Eine deutsche Affäre” zu präsentieren. Dieses ist kürzlich unter dem Titel “Romanticismo. Una odisea del espíritu alemán” auch auf Spanisch erschienen (Verlag Tusquets).

Während Kant, der große Vernunftphilosoph, von einem solchen, in der Eingangsfrage bildhaft beschriebenen Schritt noch abriet, waren die romantischen Geistesheroen wie Schlegel, Novalis, Tieck, Fichte, Schleiermacher oder Schelling zu Beginn des 19. Jahrhunderts fest entschlossen, das Wagnis einzugehen. Sie ließen die Welt der Ratio hinter sich und setzten ganz auf Fantasie, Einbildungskraft und Subjektivität, um auf diese Weise eine neue Beziehung zu den “Mysterien des Lebens” herzustellen. “Ich gehe in mich selbst zurück und finde eine Welt”, zitiert Safranski aus Goethes “Leiden des jungen Werthers”, um das romantische Denken auf den Punkt zu bringen.

Die Romantik brachte eine enorme Aufwertung der Kunst mit sich. In Malerei, Musik und Literatur suchten die Romantiker eine neue, ästhetische Transzendenz anstelle überkommener religiöser Dogmen. Es ging nicht nur um ein Philosophie- und Literaturprogramm, sondern um ein Lebensprogramm, verdeutlicht Safranski, der in diesem Zusammenhang auch von “Kunstreligion” spricht. Der Anspruch Richard Wagners etwa, aus seinem Festspielhaus in Bayreuth eine Art religiöse Weihestätte für ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, sei “durch und durch romantisch”.

Die Bewegung wandte sich gegen den Konformismus und das Alltägliche und räumte stattdessen der subjektiven Innenwelt große Wichtigkeit ein: “Wenn ich im Gewöhnlichen das Geheimnisvolle entdecke, dann romantisiere ich”, wie der romantische Schriftsteller Novalis es formulierte.

Als ein weiteres Charakteristikum der Epoche nennt Safranski den Ironie-Begriff der Romantiker: “Zur Subjektivität gehört, dass man seine eigene relative Bedeutung erfasst.” Als Beispiel für diese Selbstrelativierung nennt Safranski das Bild “Mönch am Meer” von Caspar David Friedrich, auf dem ein kleiner Mensch vor einem riesigen Horizont steht. Vor dem Hintergrund des Unendlichen erscheine das Individuum als Zwerg. Dogmatische oder totalitäre System seien laut Safranski übrigens durch die Abwesenheit von Ironie gekennzeichnet.

Die Romantik wirkte in verschiedenen europäischen Ländern, besonders stark aber in Deutschland. Ihre Protagonisten wandten sich von antiken Vorbildern ab und widmeten sich der Kultur des eigenen Volkes. Dies zog eine gesteigerte Wertschätzung des Mittelalters und seiner Mythen nach sich.

Für Safranski ist die Romantik aber nicht nur eine begrenzte Epoche vom Ende des 18. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, sondern eine geistige Strömung, die bis in die Gegenwart wirkt. So macht der Publizist auch in der 68er-Bewegung romantische Elemente aus. Die Renaissance eines von der Romantik geprägten Autors wie Hermann Hesse in dieser Zeit unterstreiche diese These.

Dass im romantischen Gedankengut gleichwohl auch “etwas Riskantes und Gefährliches” inne wohnt, machte Safranski am Beispiel Thomas Manns und seiner während des Ersten Weltkriegs verfassten “Betrachtungen eines Unpolitischen” deutlich. Darin beschreibt der spätere Literaturnobelpreisträger den Gegensatz zwischen dem “romantischen” Deutschland einerseits und seinen Kriegsgegnern, den “rationalistischen” Westmächten andererseits. Deutsche “Kultur” kontra westliche “Zivilisation” lautet die Formel. Seitdem sei die Romantik “in Verdacht”, wie Safranski es formuliert. Der Untertitel seines Buches, für den Safranski die Formulierung “Affäre” wählte, ist vor diesem Hintergrund zu sehen.

Später versuchten auch die Nazis, romantische Traditionen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Auf die Frage von Pablo Gianera, inwieweit die NS-Kunst eine Art triviale Romantik gewesen sei, erläuterte Safranski, dass es doch gravierende Unterschiede gegeben habe. Zwar hätten die Nazis eine volkstümliche Heimatideologie gebraucht und von daher auch auf Werke und Lieder der Romantik zurückgegriffen. Doch im Kern seien die Romantiker den Nazis “viel zu weich” gewesen, so Safranski. Diese Sichtweise komme auch in Goebbels Forderung nach einer neuen, “stählernen Romantik” zum Ausdruck. Die Romantiker hätten zwar ein ausgeprägtes Gefühl für nationale Identität entwickelt. Doch mit dem Rassebegriff der Nazis habe das nicht viel gemein gehabt. Diese hätten letztlich nicht an die romantisch-philosophischen Traditionen, sondern vielmehr an einen pseudo-wissenschaftlichen Biologismus aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert angeknüpft und diesen dann auf verbrecherische Weise in die Tat umgesetzt.

Um den “Zauber der Romantik” trotz all des Unheils, das unter Zuhilfenahme dieser Epoche geschehen ist, zur Geltung zu bringen, lautet Safranskis Credo: “Man muss Romantiker sein und gleichzeitig Realist.” Als Vorbild für eine solche “skeptische Romantik” dient ihm dabei E.T.A. Hoffmann. Dieser sei einerseits ein “entfesselter Romantiker” gewesen, habe andererseits aber auch als liberaler Jurist eine realistische Einstellung zum Leben gehabt. “Das ist mir sehr sympathisch”, so der Publizist.

Als Beispiel dafür, wo einem in der Gegenwart romantisches Denken und Empfinden begegnen könne, nannte Safranski den jüngsten Vulkanausbruch in Island, der in Europa den Flugverkehr für mehrere Tage lahm legte: “Das war zwar einerseits eine Katastrophe. Gibt andererseits aber auch ein Gefühl dafür, was mit “Erhabenheit” gemeint ist.” Es habe verdeutlicht, dass die Zivilisation einem “zerbrechlichen Floß auf einem großen Ozean” gleiche. Sich dies zu verdeutlichen, sei wichtig, “damit man bescheiden bleibe und nicht einem Allmachtswahn anheim falle”, so Safranski.

  • Die 36. Internationale Buchmesse in Buenos Aires ist noch bis zum kommenden Montag, 10. Mai, geöffnet. Sie steht in diesem Jahr ganz im Zeichen des Bicentenario. Das Motto lautet “Mit Büchern 200 Jahre Geschichte feiern”. Weitere Infos sind auf der Homepage der Buchmesse abzurufen.
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Rüdiger Safranski präsentiert sein Buch über die Romantik.
Oben: Safranski im Gespräch mit Pablo Gianera.
(Fotos: Marcus Christoph)

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