Die neue Moderne
Andreas Huyssen und eine längst überfällige Diskussion
Von Sandra Henoch
Mit einer Klarstellung eröffnete Andreas Huyssen, Autor und Professor an der Columbia Universität, am Montag seinen Vortrag über sein neues Buch vor dem mit etwa 400 Personen voll besetzten Auditorio des Malba. „Moderne nach der Postmodernität“, so der Buchtitel übersetzt, sei keinesfalls eine nostalgische Äußerung, sondern vielmehr eine Provokation. Wie diese These zu begründen sei, stellte der gebürtige Deutsche im Rahmen eines Vortrags und in einem anschließenden Gespräch mit dem Künstler Guillermo Kuitca vor.
„Es entstanden neue Chancen seit der Diskussion über die klassische Moderne“, bemerkte der Philosoph während seines etwa einstündigen englischen Vortrags. Im ersten Teil des Buches, der sich aus Essays des Autors über das Thema Moderne und Postmoderne zusammensetzt, werden vor allem Fragen zum wissenschaftlichen und sozialen Diskurs bearbeitet. Die Postmoderne, die als Denkströmung Kritik an den gesellschaftlichen Entwicklungen der Moderne übt, wurde vor allem in der Kunst bekannt. Es waren „neben Musik und Architektur vor allem Literatur und Kunst, die eine herausragende Rolle in der Diskussion der früheren Moderne“ spielten. Im 21. Jahrhundert müssen alte Fragen der Postmoderne durch neue, interdisziplinäre Antworten geklärt oder zumindest neu diskutiert werden, um eine neue Moderne zu schaffen. Denn auch wenn historische Fragen zum Teil durch zeitgeschichtliche Ereignisse obsolet geworden sind, sei die Mehrheit doch noch immer von großer Bedeutung. „Über einen längeren Zeitraum war die Diskussion in den Hintergrund gerückt. Andere Entwicklungen, wie die zunehmende Globalisierung und Transnationalität hatten sie verdrängt“ so Huyssen. Schließlich sei sie jedoch zurückgekehrt und werde nun interdisziplinär bearbeitet.
Der Autor, der selbst neben Germanistik und Literatur auch Philosophie und Kunstgeschichte an verschiedenen europäischen Universitäten studierte, sieht hier neben der Kunst auch die Anthropologie und die Soziologie als Hauptdisziplinen. Die Modernität, so der Autor, müsste in ihrer ganzen historischen und geographischen Spannweite betrachtet werden. Werke wie Adornos Abhandlungen über die Musik oder die wieder aufkeimende Bauhausbewegung seien vor dem Hintergrund dieser Spanne besonders wichtig.
Geschichtliche Entwicklungen haben großen Einfluss, und mit dem neuen Jahrtausend bieten sich neue Möglichkeiten. „Nun können Diskurse, die während des Kalten Krieges unterdrückt wurden, endlich wieder geführt werden. Die Beziehungen zwischen Rolle und Geschlecht, Politik und Ästhetik und Herkunft und Migration gehören dazu“. Und dies sei nicht mehr auf das nordatlantische Gebiet beschränkt, in dem die Debatte ihren Ursprung hatte. „Besonders in Argentinien, Brasilien und Mexiko, etwas weniger jedoch auch im asiatischen und afrikanischen Raum, werden interessante Arbeiten zu dem Thema Modernität veröffentlicht“.
Mit „Spaces of Memory“, oder „Räume der Erinnerung“, ist der zweite Teil des Werkes überschrieben. Die Politik der Erinnerung, in Form von Fotos von Ruinen, Gedenkstätten und Monumenten, soll zeigen, dass die eindimensionale Zuordnung von Moderne zu Zeit und Postmoderne zu Raum nicht zutreffend ist. Dies erklärt sich der Universitätsprofessor mithilfe der „Verbindung von Geschichte und Erinnerung in globaler Ausdehnung, durch die die einstmals starken Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verwischt wurden“. Was früher noch den Dichtern und Schöngeistern vorenthalten war, wird nun in Beziehung zur als objektiv bekannten Geschichtswissenschaft gesetzt. Erinnerung ist eben nicht mehr nur „die Jagd nach einer ruhelosen Vergangenheit“, sondern Teil der Entwicklung in der Moderne. Die Definition mag schwierig und die Diskussion überreizt sein, doch wenn dieser entscheidende Anteil an der Gesellschaft übergangen würde, so kämen wichtige Komponenten, wie etwa die Menschenrechtsbewegung, in Bedrängnis. Erinnerung, so die Kernthese, erfolgt in zunehmendem Maße nicht mehr national und innerhalb bestimmter Grenzen, sondern international ohne Grenzen.
Im Gespräch mit dem in Buenos Aires geborenen Künstler Guillermo Kuitca gab Huyssen dann Einblicke in sein Privatleben preis. Die beiden langjährigen Freunde begannen die Diskussion mit der Studentenzeit Huyssens, die ihn in der Kunstgeschichte vor allem mit den Spuren des Faschismus und dem Bruch damit konfrontierte. Wohl auch deshalb vertritt er die These, dass Kunst nur vor dem Hintergrund von Politik und Geschichte verstanden werden kann, auch wenn die Einflüsse nicht explizit zu sehen sein müssen. Die Werke seines argentinischen Gesprächspartners, der nach eigenen Angaben „bei der Entstehung eines neuen Kunstwerkes nicht immer eine genaue Linie vor Augen“ habe, hatten großen Einfluss auf das Denken Huyssens. Die von Kuitca verwendeten kubischen Formen, die die Dimension Postmoderne – Raum und Moderne – Zeit aufbrechen, haben gezeigt, dass diese Trennung keinen Sinn ergebe. Besonders in seinen frühen Werken, so Kuitca, konnte er durch die so verwendeten Bilder „umformen und auf einer Linie gehen“.
Huyssen plant bereits ein neues Buchprojekt, das sich mit den Räumen der Großstadt auseinandersetzen wird. Auch hier sollen wieder verschiedene Disziplinen und Denkrichtungen zusammengeführt werden. Die Vielschichtigkeit des Autors spiegelt sich so erneut in der Vielschichtigkeit seines Werkes wider.